Lebensmittelanalytik - Angewandter Verbraucherschutz
Verbraucher - und das sind wir alle - erwarten zu Recht gesunde, qualitativ hochwertige und sichere Lebensmittel. In den letzten Jahren allerdings häufen sich Lebensmittelskandale. Enthüllt und aufgedeckt werden sie in den Fachlaboren, in denen Kontrolleure auf ein großes Arsenal an Methoden und Verfahren der Lebensmittelanalytik zurückgreifen können. Auch wenn die medial vermittelte Wahrnehmung anderes vorgibt: Tatsächlich sind die allermeisten Lebensmittel sicher und höchst selten gesundheitsbedrohlich. Das liegt nicht zuletzt auch an der Ernährungsindustrie, die ein vitales, weil ökonomisches Interesse an einer analytisch gestützten Qualitätskontrolle besitzt.
Als angewandte Wissenschaft bildet die Lebensmittelanalytik die Basis zur Untersuchung und Beurteilung von Qualität und Sicherheit unserer Lebensmittel, zu denen im weiteren Sinne auch Futtermittel als Glied der Lebensmittelkette zählen. Die Qualität von Lebensmitteln ergibt sich zum einen aus dem Gehalt an gesundheitlich bedeutsamen Inhaltsstoffen und zum anderen aus dem Fehlen unerwünschter Bestandteile (antinutritive Faktoren, Pestizide, Schwermetalle, Toxine, mikrobiologische Kontaminationen wie EHEC im Jahr 2011). Lebensmittel sind zumeist Gemische, Aggregationen und Dispersionen zahlreicher chemischer Stoffe.
Lebensmittel in allzeit grenzenloser Vielfalt
Alles zu jeder Zeit aus allen Teilen der Welt - das Angebot von Lebensmitteln wird nicht nur immer globaler, auch die Zahl unterschiedlicher pflanzlicher und tierischer Lebensmittel, Herkunftsländer und Produktionsstandards bei Pflanzen- und Tierschutz und Agrartechnik wächst beständig. Damit nicht genug: Zu traditionellen Gütern treten neue, diätetische, funktionelle oder gentechnisch veränderte Lebensmittel. In ihrem "Jahresbericht 2011" (Seite 120)* schlussfolgert die amtliche Lebensmittelüberwachung Baden-Württembergs deshalb:„Eine ständige Aktualisierung des analytisch erfassbaren Wirkstoffspektrums in Verbindung mit dem Einsatz modernster Analysengerätetechnik wird immer wichtiger."
Verantwortlich für die Sicherheit der Lebensmittel sind in erster Linie die Lebensmittelunternehmer selbst. Sie müssen durch betriebliche Eigenkontrollen Sicherheits- und Qualitätsanforderungen überwachen. Die amtliche Überwachung versteht sich demgemäß als „Kontrolle der Kontrolle" und überprüft die Wirksamkeit der betrieblichen Eigenkontrollen.
Vom Landwirt bis zur Imbissbude
Kontrolliert werden alle Stufen der Herstellung: Erzeuger-, und Herstellerunternehmen, wie Lagerung, Transport und Verkauf der Nahrungsmittel sowie Gastronomie. Die Behörden wachen darüber, dass die Erzeugnisse in ihrer Zusammensetzung den gesetzlichen Vorschriften entsprechen, dass sie gesundheitlich unbedenklich und richtig gekennzeichnet sind. Gesucht wird nach pathogenen Keimen und anderen unerwünschten Stoffen, die dem Lebensmittel ohne menschliches Zutun hinzugefügt wurden. Diese sogenannten Kontaminanten können aus der Umwelt oder als Rückstand bei der Herstellung ins Lebensmittel gelangen, sei es bei Gewinnung, Fertigung, Verarbeitung, Zubereitung, Behandlung, Aufmachung, Verpackung, Transport oder Lagerung. Zu Kontaminanten zählen Schwermetalle, Dioxine, polyzyklische Kohlenwasserstoffe, Mykotoxine und andere Umweltgifte. Untersucht werden Lebensmittel auch auf zur Produktion eingesetzte, in Lebensmitteln aber unerwünschte Stoffe, die als Lebensmittelrückstände bezeichnet werden. Dabei handelt es sich beispielsweise um Schadstoffe, wie Pestizide in pflanzlichen Lebensmitteln oder Arzneimittelrückstände in tierischen Lebensmitteln.
Kontrolle der Kontrolle ist Ländersache
Von der Stadtverwaltung bis zur Weltgesundheitsorganisation WHO sind zahlreiche Behörden und Institutionen für sichere Lebensmittel zuständig. In Deutschland ist die amtliche Lebensmittelüberwachung Ländersache. Die Lebensmittelüberwachungs- und Veterinärämter der Kreise und kreisfreien Städte nehmen vor Ort Proben und kontrollieren Betriebe. Auf Bundesebene sind zwei Behörden für die Lebensmittelsicherheit zuständig. Die Ämter wurden 2002 als Antwort auf Lebensmittelskandale Ende der 90er Jahre (u.a. BSE) geschaffen und sollten den gesundheitlichen Verbraucherschutz transparenter machen. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) ist für das Risikomanagement (Verwaltung), das Bundesamt für Risikobewertung für die wissenschaftliche Beurteilung des Risikos zuständig. Die politische Verantwortung trägt das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV).
Das BVL steht den Ländern als koordinierende Geschäftsstelle zur Verfügung. Dort angesiedelt ist auch der Arbeitskreis lebensmittelchemischer Sachverständiger. Das BVL ist nationale Anlaufstelle des europäischen Schnellwarnsystems für Lebensmittel und Futtermittel (RASFF). Wie das BVL gehört das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zum Geschäftsbereich des BMELV.
Die Lebensmittel- und Veterinärüberwachung kontrolliert nach amtlichen Angaben jährlich 500.000 Betriebe in Deutschland. In den meisten Bundesländern ist die Lebensmittelüberwachung dreistufig organsiert: Auf oberster Stufe koordiniert das zuständige Ministerium die Überwachung, darunter leisten die Regierungspräsidien oder Bezirksregierungen die Fachaufsicht über die Überwachungsbehörden der Kreise und kreisfreien Städte. Diese Ämter für Lebensmittel- und Veterinärüberwachung führen die Kontrollen vor Ort aus.
Oberstes Gebot: gesundheitlicher Verbraucherschutz
In Baden-Württemberg ist das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) unter anderem für den gesundheitlichen Verbraucherschutz zuständig. Im Mittelpunkt steht der Schutz der Verbraucher vor einer Gefährdung der Gesundheit und vor einer wirtschaftlichen Übervorteilung durch Irreführung und Täuschung. Dem MLR nachgeordnet sind die vier Regierungspräsidien, schließlich die 44 unteren Lebensmittelüberwachungsbehörden (Land- und Stadtkreise), die Betriebe vor Ort kontrollieren und Proben nehmen. Sie sorgen für die Beseitigung der festgestellten Mängel und ahnden Ordnungswidrigkeiten. Die Betriebe werden von Lebensmittelkontrolleuren und sachverständigen Amtstierärzten und auch gemeinsam mit Sachverständigen aus Veterinärmedizin, Lebensmittelchemie und Humanmedizin überprüft. Bei Straftatbeständen werden die Staatsanwaltschaften eingeschaltet.
Die Proben werden von Lebensmittelchemikern, Tierärzten und Sachverständigen weiterer Disziplinen (Pharmazeuten, Biologen) in den vier Chemischen und Veterinäruntersuchungsämtern (CVUA) Freiburg, Karlsruhe, Sigmaringen und Stuttgart untersucht und beurteilt. Die Proben werden „risikoorientiert" und in Absprache mit den Lebensmittelüberwachungsbehörden angefordert und genommen. Dies hat zur Folge, dass die Zahl der Beanstandungen nicht repräsentativ ist und „nur eingeschränkt Rückschlüsse auf die Qualität der Lebensmittel" zulässt. Die Lebensmittelkontrolleure, von denen es viel zu wenige gibt („Das ist wie im vorigen Jahrhundert", Lebensmittelzeitung, 8.3.2012, Interview mit dem Bundesvorsitzenden der Lebensmittelkontrolleure Martin Müller), entnehmen die Proben auf allen Stufen der Erzeugung, Verarbeitung und des Handels.
Arbeitsteilung im Labor
In den staatlichen Laboren müssen große Probenzahlen in kurzer Zeit untersucht werden können, weshalb sich eine Arbeitsteilung in verschiedenen Fachlaboratorien entwickelt hat. Insbesondere die Untersuchung auf Rückstände und Verunreinigungen im Spurenbereich, wie beispielsweise Dioxine, Pflanzenschutzmittel, Tierarzneimittel oder Mykotoxine, ist so aufwändig, dass sie in Schwerpunkt- oder Zentrallaboratorien geleistet wird. Ähnlich organisiert sind auch die Ressortforschungseinrichtungen des Bundes. Wird bei Herstellern die Qualitätskontrolle nicht in-house erledigt, so werden damit externe Prüflaboratorien beauftragt (Mehr Infos zum Verband unabhängiger Prüflaboratorien, siehe Link oben rechts).
In Baden-Württemberg sitzen drei Europäische Referenzlaboratorien: im CVUA Freiburg das für „Dioxine und PCB in Lebensmitteln und Futtermitteln“ sowie für „Pestizide in Lebensmitteln tierischen Ursprungs und Waren mit hohem Fettanteil“; im Stuttgarter CVUA ist das Europäische Referenzlabor für Pestizidrückstände, die mit speziellen Einzelnachweisverfahren analysiert werden, untergebracht. Ein Großteil der Referenzlaboratorien ist im Berliner BfR angesiedelt.
Aus dem "Jahresbericht 2011"1 der Lebensmittelüberwachung Baden-Württemberg geht beispielsweise hervor, dass es im Ländle rund 230.000 Betriebe, davon 63.000 im landwirtschaftlichen Bereich, gibt. 2011 wurden 107.000 Kontrollen durchgeführt. In mehr als jedem vierten Betrieb stellten die Kontrolleure Verstöße fest: 391 Strafverfahren, 2450 Ordnungswidrigkeitsverfahren waren die Folge. 1.595 Betriebe mussten wegen fehlender Hygiene sofort geschlossen werden.
Die staatlichen Labore untersuchten rund 50.000 Proben sowohl chemisch, physikalisch als auch mikrobiologisch (45.000 Lebensmittel, 1.700 Weine). 17 Prozent der Lebensmittel wurden beanstandet. 100 Proben (0,2 Prozent) wurden als gesundheitsschädlich beurteilt, vor allem wegen pathogener Keime (Listeria monocytogenes, Bacillus cereus, Salmonellen, verotoxinbildende Escherichia coli), mikrobiell verseuchter, giftiger Eiweißabbauprodukte (Histamin) oder extrem hoher Capsaicingehalte. Wie aus dem "Jahresbericht 2011"* hervorgeht, war der Anteil an Proben „mit Pestizid-Höchstmengenüberschreitungen bei Frischgemüse aus Drittländern mit 14 Prozent vergleichsweise hoch“. „0,3 Prozent aller Futtermittelproben mussten aufgrund von Höchstmengenüberschreitungen bei unerwünschten Stoffen wie Dioxinen oder Schwermetallen beanstandet werden.“
Das Jahr 2013 war noch nicht alt, da sorgten bereits Schimmelpilzgifte (aus Serbien) in Futtermitteln, und Pferdefleisch (aus Rumänien) in Rindfleisch-Produkten für Unruhe und bei den Untersuchungsämtern für Sonderschichten. Im Sigmaringer Untersuchungsamt beispielsweise wurden seit Februar alle Pferdefleischanalysen für Baden-Württemberg durchgeführt. In 20 von rund 400 Proben fanden die Prüfer Pferdefleisch, in Fertiggerichten wie Lasagne oder Tortellini (Deutschlandfunk, 21.4.). Nur durch regelmäßige, engmaschige Kontrollen und den Einsatz moderner Analysemethoden können solche verunreinigten Lebensmittel aus dem Verkehr gezogen und die Sicherheit der Verbraucher gewährleistet werden.