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Neuausgabe

Metastasierung von Tumoren

Wenn sich Metastasen im Körper gebildet haben, ist eine Krebserkrankung meist nicht mehr zu heilen. Oft sind Metastasen resistent gegenüber Medikamenten, mit denen der Primärtumor erfolgreich behandelt werden konnte. In seinen Grundzügen ist der komplexe Metastasierungsprozess inzwischen bekannt, auch wenn man viele Details noch nicht gut verstanden hat, und es wird intensiv an neuen Therapiekonzepten geforscht, um auch Metastasen wirksam bekämpfen zu können.

Über den Metastasierungsgrad der Tumoren gibt es keine verlässlichen statistischen Angaben; mit Sicherheit sind aber bei all diesen Krebsformen die meisten Todesfälle durch Metastasen hervorgerufen. Die Zahlen in Klammern bedeuten die Rangfolge der Häufigkeit in der jeweiligen Kategorie. Quelle: Global Cancer Statistics 2018 (GLOBOCAN estimates) in CA: Cancer J. Clin. 2018; 68:394-424

Von den jährlich über 220.000 Krebstodesfällen in Deutschland (und 9,6 Millionen in der Welt) werden 90 Prozent durch Metastasen verursacht, Tochtergeschwülste, die sich aus Zellen eines Primärtumors an anderen Körperstellen gebildet haben. Verschiedene Krebsformen unterscheiden sich stark in ihrem Metastasierungspotenzial, was sich auch statistisch beim Vergleich von Erkrankungs- und Sterbefällen widerspiegelt (siehe Tabelle): Wenn die Zahl der krebsbedingten Todesfälle fast so hoch ist wie die der Krebsneuerkrankungen, handelt es sich um besonders bösartige, zur Metastasierung neigende Tumoren. Oft treten Metastasen auf, lange nachdem man den Primärtumor durch eine wirksame Therapie beseitigt hatte. Sie sind auch deshalb so schwer zu behandeln, weil sie sich häufig stark von den Krebszellen ihres Ursprungstumors unterscheiden – beispielsweise durch Resistenz gegenüber den beim Primärtumor erfolgreichen Chemotherapeutika. Trotz seiner enormen medizinischen Bedeutung ist der hochkomplexe Metastasierungsprozess noch immer nicht im Detail verstanden, doch die Grundzüge sind durch die Forschung des letzten Jahrzehnts aufgeklärt worden.

Der vielstufige Prozess der Metastasierung

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Die verschiedenen Stufen der Bildung von Metastasen. © Dr. Ernst Jarasch, nach Brunton et al., Disease Models & Mechanisms (2017), 10, p. 1062, verändert

Während man früher davon ausging, dass erst große, weit fortgeschrittene Primärtumoren zur Metastasierung neigen, wissen wir inzwischen, dass sich Krebszellen sogar schon von kleinen, diagnostisch kaum nachweisbaren Tumoren ablösen können. In einem ersten Schritt, der lokalen Invasion, brechen Tumorzellen – einzeln oder in kleinen Zellverbänden – durch die den Primärtumor begrenzenden Barrieren (zum Beispiel ein Epithel mit Basallamina) in das umliegende Bindegewebe ein. Im zweiten Schritt, der Intravasation, dringen sie durch die Gefäßwandzellschicht (das Endothel) in ein Blut- oder Lymphgefäß ein. In manchen Fällen, etwa bei Krebs der Eierstöcke kommt es auch zu einer direkten Metastasierung innerhalb der Körperhöhle. Eine lymphogene Verbreitung (über ein Lymphgefäß) führt in erster Linie zu Metastasen in nahegelegenen Lymphknoten, während Fernmetastasen aus Zellen entstehen, die sich hämatogen (über die Blutbahn) ausbreiten.

Nur auf letztere gehen wir im Folgenden ein. Im Blut zirkulierende Tumorzellen (CTCs) hat man unter anderem bei metastasiertem Brust- und Lungenkrebs sowie Prostata- und Darmkrebs nachgewiesen. Man fand aber keine Korrelation zwischen CTC-Menge und Ausmaß der Metastasierung. Nur ein sehr kleiner Anteil der CTCs ist imstande, Metastasen zu bilden - nach Angaben von Michael Baumann, dem Vorstandsvorsitzenden des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), nur etwa eine unter 10.000 Zellen. Damit stimmt auch der Nachweis überein, dass es unter den CTCs im Blut von Patientinnen mit fortgeschrittenem Brustkrebs eine winzige Zellpopulation gibt (so genannte „Metastasen-initiierende Zellen“; MICs), die Stammzell-Eigenschaften aufweist und viel besser zur Bildung von Metastasen geeignet ist als die übrigen CTCs. Heidelberger Stammzellforscher um Andreas Trumpp konnten im Tiermodell zeigen, dass solche MICs tatsächlich Metastasen im Knochen hervorbringen können.

Prof. Dr. med. Andreas Fischer, Leiter der Abteilung Vaskuläre Signaltransduktion und Krebs, DKFZ, und Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg. © DKFZ/Jutta Jung

Vermutlich werden die allermeisten im Blut zirkulierenden Tumorzellen durch körpereigene Immunzellen beseitigt, die im Blutstrom patrouillieren, doch einige Tumorzellen können sich vor ihnen verbergen, indem sie Blutplättchen an ihrer Oberfläche binden. Gelegentlich bilden sie auch kleine, von Blutplättchen umhüllte Zellaggregate, die gegen eine Immunattacke besser geschützt sind. Viele im Blut zirkulierende Krebszellen bleiben auch wie in einem Sieb in der Lunge hängen oder - bei Blut aus dem Magen-Darm-Trakt - in der Leber. Manche Tumorzellen oder kleine Tumorzellverbände schaffen es aber, sich über diese Organe hinweg mit dem Blutstrom im ganzen Körper auszubreiten. Sie können dann im nächsten Schritt, der Extravasation, durch das Endothel der Blutkapillaren in das umliegende Gewebe eindringen. Der Heidelberger Onkologe und Gefäßexperte Andreas Fischer wies nach, dass es dabei zu einem aktiven Wechselspiel zwischen der Krebszelle und den Endothelzellen kommt, beispielsweise durch die Bildung spezifischer Andockproteine. Im Tierversuch ist es bereits gelungen, diesen Prozess durch Antikörper zu blockieren – ein vielversprechender Ansatz für eine Therapie metastasierter Krebskrankheiten.

Prof. Dr. med. Frank Winkler, Leiter der Arbeitsgruppe Neuroonkologie, DKFZ, und Neurologische Klinik der Universität Heidelberg. © Medizinzentrum Universitätsklinikum Heidelberg

Fernmetastasen können in vielen Organen des Körpers entstehen, doch bevorzugen verschiedene Krebsarten unterschiedliche Organe. Schon vor 130 Jahren hatte der britische Chirurg Stephen Paget postuliert, dass die Krebszelle wie ein „Samenkorn einen fruchtbaren Boden“ finden müsse, um zu wachsen. Wachstumsfaktoren und Rezeptoren sind für die Aufnahme und das Überleben im Zielorgan erforderlich. Eine wichtige Rolle scheinen dabei Exosomen zu spielen, das sind kleine Membranvesikel, die sich von den Tumorzellen abschnüren und Signalmoleküle und Botenstoffe enthalten können. In Wechselwirkung zwischen der Krebszelle und den Bindegewebs- und Endothelzellen der Umgebung wird eine „prä-metastatische Nische“ gebildet, in der sich die Zellen verstecken und in einer Art Winterschlaf über lange Zeiträume überdauern können. Beispielsweise siedeln sich Zellen des metastasierenden Melanoms, des Lungenkrebses und bestimmter Formen von Brustkrebs mit Vorliebe im Gehirn an, „obwohl es für Krebszellen gar nicht so einfach ist, dort hinzukommen“, wie der Heidelberger Neuroonkologe Frank Winkler erklärte. Er konnte im Mausmodell zeigen, dass sich diese Tumorzellen nach der Extravasation an die Außenseite der Kapillarendothelzellen heften und unter Beteiligung bestimmter Gehirnzellen eine „Gefäß-Nische“ bilden, in der sie lange inaktiv verharren können. Wie diese „Schläfer“ es schaffen, oft erst nach Jahren zu den so gefürchteten Hirnmetastasen heranzuwachsen, ist eine der Fragen, denen in einem von der Deutschen Krebshilfe geförderten und von Winkler geleiteten Verbundprojekt „Präventive Strategien gegen Hirnmetastasen“ nachgegangen wird. Ein Ziel des Projektes, an dem neun Forschungsgruppen aus ganz Deutschland beteiligt sind, ist es, bereits verfügbare Medikamente darauf zu testen, ob sie imstande sind, die Blut-Hirn-Schranke zu durchdringen und die Interaktionen zwischen Tumorzellen und Gehirn zu beeinflussen.

Präzisionsonkologie

Die in ihrer Nische ruhenden Zellen sind meist resistent gegenüber einer Chemotherapie oder Strahlentherapie, durch die aktive, sich teilende Krebszellen angegriffen und der Primärtumor in der Regel erfolgreich zurückgedrängt werden kann. Eine - bisher erst in Ansätzen, etwa bei Blutkrebs, realisierbare - Strategie zur Bekämpfung metastatischer Tumoren zielt darauf, diese schlafenden Tumorzellen zu erwecken, sodass sie sich teilen und durch eine Chemotherapie mit Zytostatika angreifbar werden.

Damit die Tumorzellen im Zielorgan zu Tochtergeschwülsten heranwachsen können, müssen verschiedene Bedingungen erfüllt sein. Dazu gehören von den Zellen ausgeschüttete Wachstumsfaktoren, die zu einer Gefäßneubildung (Neo-Angiogenese) führen, denn ab etwa einem Millimeter Durchmesser ist jeder Tumor auf eine Versorgung durch Blut- oder Lymphgefäße angewiesen. Angiogenese-Hemmer, mit denen die Gefäßbildung unterdrückt und der Tumor „ausgehungert“ werden kann, gehören daher schon lange zum Repertoire der Krebsmedizin.

Magnetresonanztomografische Darstellung von Hirnmetastasen eines Patienten. © Universitätsklinikum Heidelberg

Das Wachstum lebensbedrohender Metastasen ist das Ergebnis einer Serie von Mutationen und eines Selektionsprozesses, der einzelne Krebszellen befähigt, den verschiedenen Barrieren und Abwehrmechanismen des Körpers zu entkommen und in einer fremdartigen biophysikalischen Umgebung mit anderen Stoffwechselbedingungen zu gedeihen. So hat man nachgewiesen, dass Zellen von metastasierendem Brustkrebs und Prostatakrebs, die sich im Knochen angesiedelt hatten, ähnliche Gene aktivierten wie Knochenzellen. Als Folge der rigorosen Selektion sind metastatische Krebszellen oft resistent gegenüber Medikamenten, die erfolgreich zur Behandlung des Primärtumors eingesetzt worden waren. Die genetischen Veränderungen unterscheiden sich jedoch von Fall zu Fall; um eine auf den einzelnen Patienten zugeschnittene Therapie zu finden, ist es wünschenswert, die Genome und Expressionsprofile jedes Tumors und seiner Metastasen zu analysieren. Eine solche „Personalisierte / Präzisions-Onkologie“ ist in der normalen klinischen Praxis noch nicht realisiert, doch wird – zum Beispiel mit einer Studie über metastasierten Brustkrebs am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) und DKFZ - die Vision dieser „genomically informed medicine“ durch ein „Omics Profiling“ (Genomik, Transkriptomik usw.) bereits erprobt. Das „Omics Profiling“ kann durch einen Vergleich mit verschiedenen Körpergeweben auch helfen, die Herkunft von Metastasen zu identifizieren, wenn der Primärtumor unbekannt ist. Man spricht dann von einem „Cancer of Unknown Primary“ (CUP). Bislang werden CUPs, die generell eine schlechte Prognose haben, standardmäßig mit einer Platin-basierten Chemotherapie behandelt, doch verspricht ein neuer Immuntherapieansatz mit so genannten Immun-Checkpoint-Inhibitoren bessere Ergebnisse. Bei der Behandlung metastasierender Melanome beispielsweise hat man mit solchen Antikörpern, durch die Signalproteine auf Immunzellen blockiert und die körpereigene Immunabwehr aktiviert wird, bereits spektakuläre Erfolge erzielt.

Die Entwicklung dieser neuen Wirkstoffklasse, für die James P. Allison und Tasuku Honjo 2018 den Nobelpreis für Medizin erhielten, ist ein glänzendes Beispiel, wie durch onkologische Grundlagenforschung Verbesserungen in der Therapie selbst bei fortgeschrittenen metastasierten Tumoren erzielt werden können. Nachdrücklich betonte Michael Baumann diese Erfolge bei der Eröffnung des 1. Deutschen Krebsforschungskongresses, der im Februar 2019 als Auftakt der Bundesregierung ausgerufenen „Nationalen Dekade gegen Krebs“ in Heidelberg stattfand. Baumann, der auch Ko-Vorsitzender im Strategiekreis dieser Nationalen Dekade ist, widersprach aber den gegenüber der „Rheinischen Post“ geäußerten (später relativierten) Aussagen des Bundesgesundheitsministers, dass „wir in zehn bis 20 Jahren den Krebs besiegt haben“ könnten. Es ist vielmehr allein bis 2030 mit einer Zunahme der Krebsneuerkrankungen um 20 Prozent zu rechnen. Umso wichtiger werden Krebsprävention sowie die frühzeitige Erkennung von Tumoren mit dem Ziel einer kompletten Tumorvernichtung vor der Metastasierung, entsprechend dem Motto „Stopping metastasis at their source.“ Dafür müssen, wie es die Nationale Dekade gegen Krebs vorsieht, alle Kräfte im Kampf gegen Tumorerkrankungen gebündelt werden.

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