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Innovatives Implantat der Inovedis GmbH

Minimalinvasive Schulter-OP der nächsten Generation

Die Versorgung von Schulterverletzungen wie der Rotatorenmanschettenruptur gehört zu den häufigsten orthopädischen Eingriffen. Erstaunlich deshalb, dass sich am Operationsverfahren seit Jahrzehnten nicht viel geändert hat - obwohl es vergleichsweise kompliziert ist. Das Start-up Inovedis aus Albstadt hat nun basierend auf einem Implantat eine völlig neue OP-Technik entwickelt, die einfach, sicher, schnell und kostengünstig mit geringster Belastung für Patientinnen und Patienten durchgeführt werden kann.

Schulterverletzungen sind häufig. Besonders die Rotatorenmanschettenruptur betrifft schätzungsweise etwa 25 Prozent der Fünfzigjährigen; bei Siebzigjährigen geht man sogar von rund 50 Prozent aus.1) Dabei handelt es sich um Sehnenrisse in der Muskelgruppe des Schulterbereichs – der Rotatorenmanschette -, die das Gelenk umgibt und für dessen Stabilisierung sorgt. Solche Verletzungen können auf Unfälle zurückgehen, sind aber sehr viel häufiger degenerativ bedingt durch den Verlust von Knorpelsubstanz und der nachfolgenden Lockerung der Sehnenansätze. Oft reißt die Rotatorenmanschette auf der Seite der Arbeitshand und schränkt damit die Betroffenen in ihrem Alltag stark ein.

Die beiden Medizintechnikexperten vor einer Betonwand
Die Gründer des Start-ups: Lukas Flöß (links) und Dr. Stephan Welte (rechts) © Inovedis GmbH

Bis heute besteht die Therapie in einer Operation, bei der schraubenförmige Anker in den Knochen des Oberarmkopfes gesetzt werden. Die Sehne wird dann mithilfe dieser Anker festgenäht, um die Sehne an die ursprüngliche Position zurückzubringen und damit dem Körper die Einheilung zu ermöglichen. Dies wird zwar minimalinvasiv durchgeführt, das Verfahren an sich ist aber aufwendig und wird vorwiegend von geübten Expertinnen und Experten unter Kamerasicht ausgeführt. Die Fäden müssen mehrfach stabil verknotet werden, schnüren dadurch die Sehne ein, was die Durchblutung einschränkt und damit die Einheilung erschwert. Aus diesem Grund entstehen zu einer erschreckend hohen Rate Re-Rupturen. Abhängig von der Breite der Verletzung in der Muskelgruppe können diese bei bis zu 70 Prozent liegen.

Neben der Ruptur, also einem kompletten Abriss, kommt es bei einem nicht unerheblichen Anteil an Patientinnen und Patienten nur zu einer Läsion. Das heißt, die Sehne ist lediglich angerissen. Um die Versorgung teilgerissener Sehnen mit Fadenankern zu ermöglichen, muss die noch verbleibende Sehne derzeit komplett vom Knochen abgetrennt werden.

Albstädter Start-up entwickelt neue Technologie

Die Bestandteile des Implantats, goldfarben und aus biokompatiblem Kunststoff
SINEFIX ist ein Implantat für die Schulter und besteht aus zwei Ankern und einer Basisplatte mit winzigsten Krallen. © Inovedis GmbH

Ganz und gar nicht optimal und höchste Zeit, sich etwas Neues einfallen zu lassen, fanden die Gründer des Start-ups Inovedis aus Albstadt Lukas Flöß und Dr. Stefan Welte Chefarzt der Orthopädie der ACURA Klinik Albstadt. „Ideen ließen nicht lange auf sich warten, und wir haben diese dann in Prototypen umgesetzt und an eigenen Testaufbauten ausprobiert“, berichtet Flöß von den Anfängen. „Bereits 2015 konnten wir dann Patente auf die Technik anmelden.“

Es folgte die Einarbeitung in die Regulatorik und die Suche nach Investoren. Mit Erfolg: Die Basis bildete 2019 eine erste Finanzierung der L-Bank über das BW-PreSeed-Programm. Darauf aufbauend konnte das junge Unternehmen 2021 mit einer Seed-Finanzierung solide aufgestellt werden. „Zunächst konnten wir den High-Tech Gründerfonds von unserer Idee überzeugen. Dieser investierte dann gemeinsam mit der MBG Baden-Württemberg und der Volksbank Albstadt in einer ersten Finanzierungsrunde 1,6 Mio. Euro in unsere Innovation“, sagt Flöß. „Dass ein Teil der Finanzierung von regionalen Partnern übernommen wurde, ist ein tolles Zeichen für unseren Standort.“

Optimale Einheilung dank flächiger Fixation

SINEFIX heißt die fingernagelgroße Innovation des Start-ups und ist ein Implantat aus PEEK (Polyetheretherketon), einem biokompatiblen Kunststoff. Es besteht aus drei zusammenhängenden Teilen: zwei Ankern, ähnlich den auch bisher verwendeten Fadenankern plus einer Basisplatte mit winzigsten Krallen, die die beiden Anker flächig verbindet. „Dieses Implantat ersetzt Fäden und Knotenkonstruktion, indem die bisherigen Druckpunkte des Fadens und die Kräfte auf einer einzigen Fläche – der Basisplatte - verteilt werden, die maximale Auszugskraft bietet, aber dabei die Sehne nicht quetscht und die Durchblutung ermöglicht“, erklärt der Inovedis-Geschäftsführer. „In Untersuchungen konnten wir zeigen, dass sowohl Zugfestigkeit als auch Spaltbildung wesentlich günstiger sind als mit der herkömmlichen Fadenkonstruktion. So verhaftet die Sehne stabil an ihrem ursprünglichen Ansatz am Knochen, die Einheilungschancen sind optimal und die mechanische Belastbarkeit ist deutlich besser. Das Implantat sorgt zudem auch für einen signifikanten Mehrwert bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Rotatorenmanschettenläsion, da teilgerissene Sehnen nunmehr vorab nicht mehr komplett abgelöst werden müssen.“

Zwei Abbildungen mit jeweils dem gleichen Schulterknochen und Muskel: links fixiert mit grauem SINEFIX, rechts mit blauen Fäden und Knoten.
Das neuartige Implantat (links) ersetzt die bislang verwendeten Fäden und Knotenkonstruktionen (rechts) bei Schulter-OPs und verteilt die Kräfte so auf einer Fläche, dass die Durchblutung nicht behindert, aber trotzdem maximale Stabilität erreicht wird. © Inovedis GmbH

Zur Durchführung des Eingriffs mit dem Implantat wurden eigens einfach einzusetzende und wiederverwendbare Instrumente entwickelt. So ist die Implantatlösung auch für Ärztinnen und Ärzte, die solche Schulteroperationen nicht regelmäßig durchführen, sicher, einfach und in kürzester Zeit auszuführen. Gute Nachrichten nicht nur für Patientinnen und Patienten, sondern auch für Krankenkassen und Kliniken, da die zu erwartende verkürzte OP-Dauer und die bessere Rekonvaleszenz die Behandlung um einiges kostengünstiger machen dürfte.

Zulassung in den USA, Klinische Studie in Deutschland

Instrumentenset aus drei Schraubenziehern mit bunten Griffen und einer silberfarbenen Schraube
Passend zum Implantat wurden auch wiederverwendbare Instrumente entwickelt, mit denen der Eingriff sicher und schnell durchgeführt werden kann. © Inovedis GmbH

In den nächsten Monaten steht für das Inovedis-Team nun die Zulassung ihres Medizinproduktes in den USA und der Start der Klinischen Studie in Europa an. „Bei der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA konnten wir bereits 2022 ein vereinfachtes Zulassungsverfahren [510(k)] beantragen“, so Flöß. „Bei einer 510(k) benötigt man keine eigenen Klinischen Daten, sondern man stützt sich auf zugelassene Produkte mit gleichen Merkmalen wie z. B. das Material.“ So wird in Kürze mit der Zulassung für den US-Markt gerechnet.

Aufgrund der neuen europäischen Medizinprodukte-Verordnung fordern europäische Behörden umfangreiche Klinische Tests des neuen Produkts. „Deshalb starten wir im Frühjahr eine aufwendige Mulicenter-Studie, um Klinische Daten für die Zulassung zu sammeln“, berichtet der Medizintechnik-Experte. „Mit dem am OCC Tübingen tätigen Prof. Dr. Philip Kasten konnten wir einen international anerkannten Spezialisten für die Durchführung unserer Studie gewinnen.“

Bis SINEFIX dann bei europäischen Patientinnen und Patienten ankommt, dürfte also noch etwas Zeit vergehen. „Das komplizierte Zulassungsverfahren in Europa bremst Innovationen erheblich aus“, meint Flöß. „Deshalb liegt unser Fokus zunächst auf den USA.“ Produziert wird das Implantat von einem deutschen Unternehmen, die Instrumente liefert eine Firma aus dem benachbarten Tuttlingen.

Neben der unmittelbar bevorstehenden Gründung des amerikanischen Firmenablegers, ist für die nächsten Jahre auch die Vergrößerung des Teams in Albstadt geplant. Und die nächsten Anwendungen haben die Experten der Inovedis ebenfalls schon im Blick.

Literatur:

1) Herrmann, S.J. et al. (2013): Schulter – Rotatorenmanschette. OP-Journal 29, 248–259. https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/pdf/10.1055/s-0033-1360154.pdf

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/minimalinvasive-schulter-op-der-naechsten-generation