Anhäufungen von Mutationen in einer Zelle sind die Ursache dafür, dass Krebs entstehen und sich ausbreiten kann. Allerdings ist nur ein kleiner Teil der bei einem Patienten oder einer Patientin identifizierten Mutationen dafür verantwortlich, dass eine Zelle bösartig entartet. Solche sogenannten Treiber-Mutationen verschaffen den Zellen einen selektiven Vorteil, der unter anderem bewirken kann, dass sie sich schneller vermehren können.
Eine der größten Schwierigkeiten in der Krebsforschung ist zu erkennen, ob es sich um eine krebstreibende Mutation handelt oder nur um eine neutrale „Passagier-Mutation", die keinen Einfluss auf die Erkrankung hat. Um diese Unterscheidung treffen zu können, untersuchen Forscher, ob die fragliche Mutation im Krebsgenom signifikant häufiger vorkommt als im Genom von Gesunden.
„Im proteinkodierenden Teil des Erbguts, der nur etwa zwei Prozent des Gesamtgenoms ausmacht, funktioniert das einigermaßen. Wenn wir aber in den nicht-kodierenden Bereichen, die die ganzen wichtigen regulatorischen Sequenzen umfassen, nach Treibermutationen suchen, stößt diese Methode jedoch an ihre Grenzen", sagt Marc Zapatka vom Deutschen Krebsforschungszentrum. Das liegt daran, dass DNA-Schäden nicht an allen Positionen des Erbguts gleichmäßig und mit gleich großer Wahrscheinlichkeit entstehen. Zudem ist über die Konsequenzen von Mutationen in diesem Teil des Genoms bisher nur sehr wenig bekannt.
Zapatka und Kollegen haben nun eine andere Herangehensweise gewählt: Dazu haben sie einen Algorithmus entwickelt, der solche Mutationen untersucht, die innerhalb so genannter Mutationssignaturen liegen. Darunter verstehen die Wissenschaftler die verschiedenen charakteristischen Spuren, die mutagene Ereignisse wie Umweltfaktoren (etwa UV-Strahlung), fehlerhafte DNA-Reparatur oder fehlgeleitete Enzymaktivität im Erbgut hinterlassen. „Wir wissen, dass viele der heute bekannten krebstreibenden Mutationen innerhalb solcher Mutationssignaturen liegen. Daher schien es uns erfolgversprechend, diese Bereiche gezielt unter die Lupe zu nehmen", erklärt Zapatka den Hintergrund.
Mithilfe des „sigDriver" getauften Algorithmus kann das Erbgut großer Krebs-Kohorten ergebnisoffen nach Mutationen im kodierenden Bereich sowie im nicht-kodierenden Bereich durchsucht werden.
Die DKFZ-Forscher analysierten mit sigDriver das Erbgut von insgesamt 3813 Tumoren, deren gesamtes Genom im Rahmen des International Cancer Genome Consortium (ICGC), des The Cancer Genome Atlas-Programms sowie in einer Studie zu pädiatrischen Tumoren sequenziert worden war.
„Es hat uns überrascht, dass der Algorithmus trotz des neuen Ansatzes den größten Teil der bereits bekannten tumortreibenden Mutationen identifiziert hat, sogar im nicht proteinkodierenden Bereich des Genoms, der bisher selten bei diesen Analysen berücksichtigt wurde", kommentiert Zapatka.
Doch auch bislang unbekannte, aber potentiell tumortreibende Mutationshotspots kamen bei der Analyse zutage. Unter anderem konnte das Team 32 Mutationshotspots mit der APOBEC-Aktivität in Verbindung bringen, von denen nur elf bereits bekannt waren und elf weitere potentiell regulatorisch sind. Das Akronym APOBEC bezeichnet eine ganze Familie von mRNA-editierenden Enzymen, die zur angeborenen Virusabwehr des Menschen gehören: Die Enzyme greifen das Genom von RNA-Viren an bestimmten Stellen an – können aber auch im menschlichen Genom Mutationen verursachen, was zu bekannten Signaturen als Spuren dieser Schädigung führt.
Die neu identifizierten Mutationen müssen nun in größeren Gruppen von Patienten bestätigt und die krebsrelevanten Effekte der Mutationen im Detail analysiert und möglicherweise experimentell überprüft werden. Das Heidelberger Team stellt hierzu sigDriver Fachkollegen weltweit zur Verfügung.
„Wir haben bereits jetzt neue tumortreibende Mutationen gefunden, die helfen können, Krebskranke mit Hochrisikotumoren zu identifizieren. Wir gehen davon aus, dass sigDriver bei Untersuchungen in größeren Gruppen von Patienten mit der gleichen Krebsart in Zukunft noch weitere Krebstreiber, insbesondere auch in den regulatorischen Bereichen des Genoms, aufdecken kann", erwartet Studienleiter Zapatka.