2021 lebten etwa 1,8 Millionen Demenzkranke in Deutschland, wobei die Alzheimer-Krankheit bei über 60 Prozent die Demenzursache ist. Um eine frühe und eindeutige Diagnose zu ermöglichen, werden aktuell dringend neue Biomarker gesucht. Denn bisher ist die Frühdiagnose neurodegenerativer Krankheiten auf den Nachweis bestimmter Proteine im Nervenwasser beschränkt, die sich im Gehirn ablagern, bevor erste Symptome auftreten. Dabei ist die Unterscheidung zwischen Alzheimer und anderen Formen der Demenz aber nicht eindeutig möglich. In fortgeschrittenen Krankheitsverläufen, wenn bereits massive kognitive Beeinträchtigungen vorliegen, wird auch ein Verlust der Hirnsubstanz deutlich.
„Beta-Synuclein ist ein präsynaptisches Protein, also ein Bestandteil der Nervenenden“, erklärt Professor Markus Otto, Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Halle. Die Arbeitsgruppen aus Halle und Ulm zeigten erst kürzlich mit ihren Kooperationspartnern in Italien, dass die Konzentration von Beta-Synuclein im Nervenwasser bei der Alzheimer-Erkrankung frühzeitig erhöht ist. „Es wurde bereits angenommen, dass die Veränderung an diesen Nervenenden im Gehirn mit der Gedächtnisstörung zusammenhängt. Deswegen haben wir uns darauf konzentriert, hier einen Nachweis im Blut zu finden. Aufgrund der Ergebnisse vermuten wir, dass bei Alzheimer als Erstes strukturelle Veränderungen der Synapsen auftreten.“
Bundesweites Konsortium lieferte die nötige Datengrundlage in jüngster Studie
Um herauszufinden, ob sich Beta-Synuclein als potenzieller neuer Biomarker eignet, brauchte es aber mehr Daten und größere Testgruppen. Insgesamt 374 Patientinnen und Patienten aus dem Netzwerk für frontotemporale Demenzen (FTLD) lieferten die Grundlage für die jüngste Studie. Dazu zählten 31 kognitiv gesunde Menschen, 74 Alzheimer-Erkrankte und 269 Betroffene mit anderen Formen der Demenz. Während Alzheimer typischerweise im Verlust der Hirnsubstanz (Atrophie) im Schläfenlappen resultiert, betreffen andere Demenzformen die Bereiche des Stirnlappens. Die Forschungsgruppen untersuchten die kognitive Leistungsfähigkeit und bestimmten das Volumen der Hirnareale mittels MRT. Die Ergebnisse wurden dann mit den Blutkonzentrationen verschiedener Biomarker verglichen.
„Hier zeigte sich, dass eine sehr gute Korrelation zwischen den für die Alzheimer-Erkrankung typischen Atrophiemustern im Schläfenlappen und dem Anstieg des Proteins Beta-Synuclein im Blut besteht“, sagt Professor Otto, der auch Sprecher des FTLD-Konsortiums in Deutschland ist. „Die bisher verwendeten Biomarker zeigen diesen Zusammenhang zum Schläfenlappen im frühen Krankheitsverlauf nicht. Die Erkenntnisse lassen sich schon jetzt in die Praxis übertragen: In unserem Netzwerk führen wir jährlich Visiten durch und untersuchen den Krankheitsverlauf von Patientinnen und Patienten. So waren bereits frühe Diagnosen möglich, die wir aktuell weiter kontrollieren.“
Blutproben statt Nervenwasser und Lumbalpunktion
„Um demenzielle Erkrankungen einzuschätzen, muss die gesamte Palette verfügbarer Biomarker untersucht werden. Beta-Synuclein ist eine wertvolle Ergänzung und könnte eine Diagnose ermöglichen, bevor der Abbau von Synapsen volle Fahrt aufgenommen hat“, erklärt PD Dr. Patrick Öckl, Forschungsgruppenleiter an der Neurologischen Universitätsklinik Ulm. Mit genügend Vorlauf wären Behandlungen denkbar, die eine bessere Kontrolle der Alzheimer-Krankheit ermöglichen. Der große Vorteil von Beta-Synuclein im Gegensatz zu den etablierten Biomarkern: Mittels einer eigens entwickelten und hochsensitiven Methode lässt sich dieses Protein auch in einer Blutprobe nachweisen. Das macht die Untersuchung für Betroffene deutlich angenehmer. „Um kein Nervenwasser mittels Lumbalpunktion nehmen zu müssen, sondern Blutproben untersuchen zu können, braucht es Massenspektrometer“, so Öckl. Deshalb könne das Verfahren derzeit nur in wenigen Laboren durchgeführt werden. „Wir arbeiten nun daran, die neue Methode routinefähig zu machen.“ Es gäbe außerdem nicht-neurodegenerative Schäden, die mit dem Verlust von Nervenverbindungen einhergehen, beispielweise nach Schlaganfällen oder Hirntraumata – auch hier könne man diagnostisch ansetzen.
Das bundesweite deutsche Konsortium zur Erforschung der Frontotemporalen Lobärdegeneration (FTLD) ist ein Zusammenschluss von 15 Universitätskliniken (Halle/Saale, Ulm, Bonn, Erlangen, Göttingen, Hamburg, Homburg/Saar, Mannheim, München LMU, München TU, Münster, Rostock, Tübingen, Würzburg aus Neurologie und Psychiatrie) und dem Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften aus Leipzig.