Brustkrebs-OP nach Chemotherapie noch nötig? Künstliche Intelligenz soll Diagnostik unterstützen
Wissenschaftler unter der Federführung des Universitätsklinikums Heidelberg werteten verschiedene Methoden des Maschinellen Lernens aus: Ein Algorithmus sagt die Tumorrückbildung nach Chemotherapie genauer voraus als Gewebeprobe und Bildgebung alleine. Das Langfristiges Ziel ist es, unnötige Brustoperationen zu vermeiden.
Bei rund einem Drittel der Brustkrebspatientinnen, die eine sogenannte neoadjuvante, der Operation vorgeschaltete Chemotherapie erhalten, bildet sich der Tumor vollständig zurück. Operiert werden sie bislang trotzdem, denn erst die Gewebeentnahme und -analyse bei der Operation zeigt eindeutig, ob alle Krebszellen abgestorben sind. Einen Ausweg aus dieser Problematik könnte ein lernender Algorithmus bieten, der gleichzeitig mehrere Faktoren berücksichtigt. Er ermöglicht laut ersten Studienergebnissen eine zuverlässige Diagnostik, wie Wissenschaftler des Brustzentrums der Universitäts-Frauenklinik Heidelberg unter anderem mit Kollegen vom MD Anderson Cancer Center, Houston, USA, und Royal Marsen Hospital, London, Vereintes Königreich, aktuell in einem Highlight-Artikel im European Journal of Cancer berichten. Sie testeten im Rahmen der RESPONDER-Studie verschiedene Methoden des maschinellen Lernens anhand der Daten dreier in den letzten Jahren publizierter Studien aus Heidelberg, den USA und Südkorea mit insgesamt 457 Brustkrebspatientinnen. „Mit Hilfe dieses intelligenten Diagnostikwerkzeugs könnte zukünftig rund einem Drittel der Frauen mit vorgelagerter Chemotherapie und gutem Ansprechen die anschließende Operation erspart werden,“ so Studienleiter Prof. Dr. Jörg Heil, Leiter des Brustzentrums an Universitätsklinikum und Nationalem Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg. Bevor es soweit ist, muss der Algorithmus allerdings seine Zuverlässigkeit noch in einer weiteren Studie unter Beweis stellen.
Die Frage, wie gut die Chemotherapie im Vorfeld der Operation angeschlagen hat, lässt sich – das haben aktuelle Studien gezeigt, die von den Heidelberger Wissenschaftlern federführend durchgeführt wurden – weder mit bildgebenden Untersuchungen noch mittels Biopsie zweifelsfrei beantworten. „Das Problem bei der alleinigen Biopsie ist, dass das Tumorgewebe bei Brustkrebs häufig heterogen ist und entsprechend uneinheitlich auf die Therapie anspricht“, erläutert Seniorautor Heil. „Nur weil die Gewebeprobe aus der Biopsie keine Krebszellen mehr enthält, heißt das nicht, dass der gesamte Tumor abgestorben ist.“ Eindeutige Klarheit bringt bislang erst die Untersuchung des bei der Operation entnommenen Gewebes. Die Behandlungsrichtlinie sieht daher vor, dass alle Frauen dem ursprünglichen Tumor entsprechend operiert werden. So wird Gewebe entnommen, obwohl möglicherweise gar kein Tumor mehr vorhanden ist.
Zukünftig könnte Frauen mit sehr gutem Ansprechen auf Chemotherapie unnötige Operation erspart werden
Um den Frauen mit sehr gutem Ansprechen auf die Chemotherapie eine unnötige Operation zu ersparen, machten sich die Heidelberger Wissenschaftler Methoden des Maschinellen Lernens zunutze. Dabei wird ein rechnergestütztes System darauf trainiert, aus der gemeinsamen Analyse verschiedener Faktoren Zusammenhänge zu erkennen und darauf basierend eine belastbare Diagnose zu stellen. In den Algorithmus, der sich am zuverlässigsten erwies, fließen insgesamt 27 Faktoren ein, darunter unter anderem Alter der Patientinnen, Merkmale des Tumors und die Ergebnisse einer bestimmten Art der Biopsie (Vakuum-assistiert). In einer internen wie externen Überprüfung mit Patientendaten aus den verwendeten Studien übersah das System keinen verbliebenen Tumor, was für eine hohe diagnostische Sicherheit des Algorithmus spricht.
Die Wissenschaftler arbeiten nun noch daran, die sogenannte Spezifität verbessern, also falsch positiven Diagnosen zu vermeiden. Denn bei rund einem Drittel der Patientinnen, bei denen der Algorithmus einen Resttumor annahm, war tatsächlich in der Operation keiner mehr vorhanden. „Aber schon jetzt ist die algorithmusgestützte Diagnostik im Vergleich zum aktuellen Stand ein deutlicher Gewinn, da die onkologische Sicherheit bei einem möglichen Operationsverzicht bei diesen Frauen gewährleistet wäre“, so der Onkologe. Es gab in der unabhängigen Validierungskohorte keine sogenannte falsch negative Diagnose, dass also der Algorithmus zum Ergebnis kam, der Tumor sei verschwunden, obwohl kleine Teile überlebt hatten.
In der Behandlung des Brustkrebses stehen zunehmend, wo immer möglich, multimodale Ansätze bei gleichzeitiger Reduktion belastender Therapien im Fokus, um die Lebensqualität der Patientinnen zu verbessern. So wird heute überwiegend brusterhaltend operiert oder zunächst der Wächter-Lymphknoten untersucht, bevor weitere Lymphknoten entfernt werden. „Ich bin überzeugt, dass die Verwendung intelligenter Diagnostikwerkzeuge ein weiterer wichtiger Schritt auf diesem Weg ist“, erläutert Prof. Heil. Das nächste Ziel ist eine prospektive Folgestudie unter Leitung des Heidelberger Brustzentrums.