Dem Virus ganz nah - Technologieprojekt mit Heidelberger Beteiligung will kompakte Zellbildgebung für die breite Anwendung erschließen
Wie gelingt es viralen Erregern, in menschliche Zellen einzudringen? Welche zellulären Mechanismen machen sie sich zunutze, um sich effizient zu vermehren, und wie verändern sie dabei die Struktur ihrer Wirtszelle? Diesen Fragen widmet sich ein paneuropäisches Forschungsprojekt mit dem Titel „Compact Cell-Imaging Device“ (CoCID), an dem Heidelberger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler maßgeblich beteiligt sind. Für die Erforschung von viralen Erkrankungen soll ein besonders geeignetes Verfahren der Zellbildgebung, das bislang nur sehr eingeschränkt verfügbar ist, für die breite Anwendung in der Medizinforschung erschlossen werden. Zu diesem Zweck stellt die Europäische Union dem vom University College Dublin (Irland) koordinierten internationalen Konsortium aus Virologen und Bildgebungsexperten bis Ende 2024 Fördergelder in Höhe von knapp 5,7 Millionen Euro zur Verfügung. Insgesamt rund 1,6 Millionen Euro gehen an die Universität Heidelberg und das Universitätsklinikum Heidelberg.
Eine besonders leistungsstarke Methode der Zellbildgebung ist die sogenannte Weichröntgenmikroskopie, Soft X-ray Microscopy (SXM), wie Dr. Venera Weinhardt vom Centre for Organismal Studies (COS) der Universität Heidelberg erläutert. Die Physikerin hat sich auf die Entwicklung von innovativen Röntgenverfahren spezialisiert und forscht auf Heidelberger Seite zusammen mit Prof. Dr. Ralf Bartenschlager, Direktor der Abteilung für Molekulare Virologie am Zentrum für Infektiologie des Universitätsklinikums Heidelberg. „SXM macht sich die speziellen Eigenschaften des weichen Röntgenspektrums zunutze, um bis ins Innere einer einzelnen intakten Zelle hineinzusehen und dreidimensionale Aufnahmen ihrer gesamten inneren Struktur zu erzeugen. So werden auch jene Veränderungen sichtbar, die durch einen viralen Befall zustande kommen“, erklärt die Wissenschaftlerin. Damit hebt sich die Weichröntgenmikroskopie deutlich von herkömmlichen Methoden wie der Elektronenmikroskopie ab, mit der einzelne Ausschnitte, nicht jedoch das gesamte Zellinnere, erfasst werden können.
Bislang kann SXM nur an fünf Forschungseinrichtungen weltweit eingesetzt werden, an denen das für diese Art der Mikroskopie benötigte Licht von riesigen Teilchenbeschleunigern – sogenannten Synchrotrons – erzeugt wird. Ein Hauptaugenmerk des Projekts CoCID liegt daher darauf, ein miniaturisiertes Weichröntgenverfahren weiterzuentwickeln. Patentiert wurde es von SiriusXT, einer Ausgründung des University College Dublin; es soll langfristig flächendeckend zur Anwendung kommen. „Das SXM-Mikroskop von SiriusXT ist genauso leistungsfähig, jedoch um ein Vielfaches kleiner und kostengünstiger und dabei sehr schnell“, erläutert Dr. Weinhardt. Die Wissenschaftlerin wird maßgeblich dazu beitragen, den Prototypen durch Benchmarking und Vergleiche mit anderen Systemen für die tägliche Anwendung zu optimieren.
Unter virologischen Gesichtspunkten interessieren sich die Heidelberger Forscher insbesondere dafür, welches Potenzial das neue Verfahren bei der Erforschung von SARS-CoV-2 entfalten kann. Die Arbeitsgruppe von Prof. Bartenschlager beschäftigt sich vornehmlich mit der Frage, wie das Virus seine Wirtszellen umprogrammiert. In dieser Hinsicht vielversprechend sind nach Angaben des Wissenschaftlers Aufnahmen, die mit SXM unter der Leitung von Dr. Weinhardt bereits am Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien (USA) entstanden sind. Auch im Rahmen einer Kooperation mit dem European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg konnten dreidimensionale Aufnahmen von Zellen erzeugt werden, die mit SARS-CoV-2 infiziert sind. „Durch die Arbeit mit diesen Bildern haben wir eine ziemliche gute Vorstellung davon, welche Faktoren bei der Bildgebung im Zusammenhang mit den Virus-infizierten Zellen eine Rolle spielen, und können diese Erkenntnisse an das CoCID-Konsortium weitergeben. Sobald der SXM-Prototyp aus Dublin einsatzbereit ist, werden wir außerdem Proben von infizierten Zellen liefern, den direkten Abgleich mit vorhandenen Aufnahmen ermöglichen und bei der Interpretation der Daten unterstützen“, so Prof. Bartenschlager.
Von einer für den täglichen Einsatz zur Verfügung stehenden Weichröntgenmikroskopie versprechen sich die Heidelberger Experten deutliche Vorteile gegenüber bestehenden Verfahren. So kann von den existierenden SXM-Einrichtungen nur ein Bruchteil der Anfragen bearbeitet werden, die tatsächlich eingehen. Prof. Bartenschlager: „Gerade bei neuartigen Viren wie SARS-CoV-2, zu dem täglich neue Erkenntnisse kommen und das sich ständig ändert, können wir uns weder lange Wartezeiten noch ein zeitintensives Verfahren leisten.“
Neben den Wissenschaftlern der Universität Heidelberg sind außerdem Forscherinnen und Forscher aus Finnland, Irland und Spanien an dem Projekt „Compact Cell-Imaging Device“ beteiligt. Die vierjährige Förderung der Europäischen Union für das Vorhaben, das zu Jahresbeginn gestartet ist, erfolgt im Rahmen von Horizon 2020.