Wenn es um den Schutz unserer Zellen vor der Entstehung von Krebs durch DNA-schädigende Stoffe geht, ist das Gen, das für das Protein p53 kodiert, der wohl wichtigste Faktor. Das Protein ermöglicht es den Zellen, Schäden an ihrer DNA zu reparieren, und verhindert so die Entstehung von Krebs, weshalb es auch als "Wächter des Genoms" bezeichnet wird. Eine Inaktivierung von p53 ist bei etwa jedem zweiten Tumor zu finden. Zellen, denen die p53-Funktion fehlt, werden genomisch instabil. Das bedeutet, dass sie dazu neigen, Mutationen in ihrer DNA zu entwickeln, die den Tumoren helfen, unkontrolliert zu wachsen, Metastasen zu bilden oder Therapieresistenzen zu erlangen. Dadurch wird die Krebszelle aggressiver.
Selbst wenn keine DNA-schädigenden Stoffe in der Nähe sind, ist es für die Zellen eine äußerst schwierige Aufgabe, ihre genomische (DNA) Stabilität aufrechtzuerhalten. Forschende vermuteten bereits, dass die Schutzfunktion von p53 auch für gesunde Zellen gilt. Der Mechanismus, über den das Protein diese Fähigkeiten erlangt, blieb jedoch bisher im Verborgenen. Ein Forschungsteam unter der Leitung von Ivano Amelio, Professor für Systemtoxikologie an der Universität Konstanz, und unter Beteiligung seines Konstanzer Kollegen Marcel Leist, Professor für In-Vitro-Toxikologie und Biomedizin, hat nun neues Licht ins Dunkel gebracht.
Zellteilung ist ein störanfälliger Prozess
Zellen – und ihre DNA-Integrität – sind besonders dann gefährdet, wenn sie sich teilen, da sie bei der Teilung ihre DNA verdoppeln. „Wie bei jedem anderen Vervielfältigungsvorgang, z. B. dem Anfertigen einer Fotokopie oder dem Kopieren einer digitalen Datei, ist es verhängnisvoll, wenn sich die Kopiervorlage während des Vorgangs bewegt oder verändert wird. Aus diesem Grund können Gene nicht transkribiert – sprich als Vorlage für Proteine verwendet – werden, während die DNA kopiert wird“, erklärt Amelio. Werden sie dennoch transkribiert, kommt es zu schwerwiegenden Störungen, die zu krebsfördernden Mutationen führen können. Die Ergebnisse von Amelio und seinem Team, die jetzt als Titelstory in Cell Reports veröffentlicht wurden, zeigen, dass die Inaktivierung von p53 solche kopierbedingten Schäden begünstigt. Sie fanden heraus, dass p53 normalerweise den Zellstoffwechsel so beeinflusst, dass er die Aktivierung von Genombereichen verhindert, die inaktiv bleiben sollen.
Die Wissenschaftler haben den zugrundeliegenden Mechanismus akribisch bis ins kleinste Detail entschlüsselt. Dabei machten sie sich das Wissen zunutze, dass einige Teile des Genoms, das sogenannte Heterochromatin, dicht gepackt sind, was die Transkription von Genen in diesen Regionen verhindert. Diese Regionen werden daher auch als „still“ („silent“) bezeichnet. Kontrolliert werden sie durch sogenannte epigenetische Mechanismen, d. h. durch Prozesse, die nicht die Gene als solche betreffen, sondern ihre allgemeine Verpackung und Zugänglichkeit im Genom. Eines der interessantesten Ergebnisse der aktuellen Studie ist, dass diese normalerweise unzugänglichen oder „stillen“ Bereiche unserer DNA in der Abwesenheit von p53 transkribiert wurden, was katastrophale Folgen hatte.
Wechselwirkung zwischen p53-gesteuertem Stoffwechsel und epigenetischer Integrität
„Normalerweise sollte die Transkription dieser Bereiche des Genoms unter strikter Kontrolle stehen, und p53 ist der Schlüssel, um ihre Informationen unter Verschluss zu halten, indem es den Stoffwechsel in einer Weise steuert, die das Heterochromatin unzugänglich macht“, so Amelio. Wenn diese Funktion von p53 fehlt, wie bei Tumoren mit inaktivem p53, verliert die Zelle ihre metabolische Homöostase, und die im Heterochromatin verborgene Information wird in anormaler Weise zugänglich und transkribiert. Dies verursacht so viele Schäden, dass die Zellen in einen Zustand genomischer Instabilität versetzt werden, der das Fortschreiten von Krebs begünstigt und verschlimmert. „Durch die Entschlüsselung dieses Mechanismus konnten wir zeigen, dass es eine Verbindung zwischen Stoffwechsel, epigenetischer Integrität und genomischer Stabilität gibt. Und wir konnten nachweisen, dass p53 der Schalter ist, der den Ein-/Aus-Status dieses Schutzsystems bei der Reaktion auf Umweltstress steuert“, fasst Amelio die Ergebnisse zusammen.
Die Frage, wie Tumore mit inaktivem p53 genomisch instabil werden, beschäftigte die Wissenschaft schon seit geraumer Zeit. „Jetzt haben wir Gewissheit, dass bei diesen Tumoren ein Problem auf der Stoffwechselebene vorliegt, das sich in der Integrität des Epigenoms widerspiegelt. Daher sollte p53 eigentlich Beschützer des (Epi-)Genoms heißen. Diese Erkenntnis kann ein entscheidender Wegweiser für die gezielte Erforschung potenzieller therapeutischer Strategien für diese sehr häufigen Krebsarten sein, bei denen p53 inaktiviert ist“, so Amelio abschließend.