Deutsche Biotechnologie-Unternehmen sind im vergangenen Jahr neue Allianzen mit einem potenziellen Umsatzvolumen von 14,2 Milliarden Euro eingegangen – ein neuer Rekord. Im Vorjahr hatte der entsprechende Wert nur bei 3,4 Milliarden Euro gelegen. Verbunden mit diesen neuen Allianzen waren sogenannte Upfront-Zahlungen in Höhe von 702 Millionen Euro – nach 183 Millionen Euro im Vorjahr.
Das sind Ergebnisse des Deutschen Biotechnologie-Reports 2023 der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY.
Klaus Ort, Partner bei EY und Leiter des Marktsegments Life Sciences & Gesundheitswesen: „Die deutsche Biotech-Branche ist nach dem Corona-Boom wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen: Der Hype ist vorüber, die Finanzierungssituation wieder kritisch. Zwar konnten die Unternehmen in den vergangenen Jahren – nicht zuletzt durch die erfolgreiche Corona-Impfstoffentwicklung – deutlich an Vertrauen bei Bevölkerung, Politik und Investoren gewinnen. Aber in den kommenden Jahren wird sich entscheiden, ob wir weitere erfolgreiche Produkteinführungen mit entsprechenden Umsatzchancen sehen werden, oder ob dies womöglich an einer unzureichenden Finanzierung scheitert. Fest steht: Das Potenzial und die Stärke sind in der Branche vorhanden.“
Finanzierung sinkt auf Vor-Pandemieniveau
Die Risikokapitalfinanzierung ist zwar gegenüber dem Vorjahr stark eingebrochen – von 752 auf 389 Millionen Euro (minus 48 Prozent) –, lag damit aber etwa auf dem Vor-Pandemieniveau. Nur in den Jahren 2000, 2001 und 2019 bis 2021 wurden jemals höhere Werte erzielt. Folgefinanzierungen schrumpften von 874 auf 418 Millionen Euro, Zuflüsse aus Wandelanleihen sogar von 139 auf 6 Millionen Euro. Und nachdem im Vorjahr noch vier Börsengänge insgesamt 667 Millionen Euro erbracht hatten, wurde im Jahr 2022 kein deutscher Biotech-Börsengang registriert.
Dr. Manuel Bauer, EY Biotech Leader Germany: „Auf den ersten Blick ist der Einbruch bei den Finanzierungen ernüchternd. Nach den zwei Boom-Jahren 2020 und 2021 und einem überhitzten Finanzierungsmarkt war aber eine gewisse Bereinigung durchaus geboten. Zudem führte der Krieg in der Ukraine zu erheblicher Verunsicherung aufseiten der Investoren. Fallende Börsenkurse, steigende Zinsen und der Rückzug von Anlegern, die nur während der COVID-Dynamik in RNA-Technologien und andere Biotech-Innovationen investierten, waren ebenfalls Gründe für den deutlichen Rückgang bei den Finanzierungen.“
Die Finanzierung bleibe eine der entscheidenden Herausforderung für die deutsche Biotechnologie-Branche, so Bauer: „Seit Jahren wird die Forderung erhoben, dass es großen Investoren wie etwa Pensionsfonds, Versicherungen und anderen institutionellen Investoren ermöglicht werden muss, erheblich stärker in risikobehaftete Unternehmungen – und dazu zählen Biotech-Unternehmen – zu investieren. Zudem brauchen wir dringend attraktivere Abschreibungsmöglichkeiten für Verluste, denn damit würde ein Biotech-Investment für Wagniskapitalgeber wie Privatpersonen, VC-Gesellschaften und große institutionelle Investoren deutlich attraktiver. Auch die bessere steuerrechtliche Beachtung der Kosten durch Forschung und Entwicklung bleibt eine unerfüllte Forderung der Branche.“
Klaus Ort fasst zusammen: „Beim Thema Finanzierung hinkt der Biotechnologie-Standort Deutschland anderen wichtigen Ländern weit hinterher. Gerade die vielversprechenden Late-Stage-Produkte benötigen hohe Investitionen. Wenn eine kosten- und regulationsintensive Wirkstoffentwicklung an der Finanzierung scheitert, ist das auch ein Scheitern des Biotech-Standorts Deutschland.“
Gut gefüllte Produkt-Pipelines
Erfreulich ist, dass die Produktpipeline sehr stark ist: Sie umfasste Ende des Jahres 2022 insgesamt 145 klinische Studien der Phasen I bis III, davon 17 Phase III-Studien.
Die beiden Vorjahre waren international noch sehr von COVID-19-Impfstoff- und Therapie-Entwicklungen geprägt, im Jahr 2022 hat deren Bedeutung für die deutsche Biotech-Branche nachgelassen. So befassten sich 2022 noch sieben der 145 klinischen Studien mit der Prüfung von Wirkstoffen zur Behandlung oder Prävention von COVID-19, drei befanden sich in Phase III. Nun geraten wieder die klassischen Biotech-Themen in den Fokus: Über die Hälfte (56 Prozent) der Studien befassten sich mit Krebs-Wirkstoffen, gefolgt von Infektions- (12 Prozent) und Autoimmunerkrankungen (10 Prozent).
Im Jahr 2022 waren acht deutsche Biotech-Unternehmen mit zwölf erfolgreich zugelassenen Medikamenten am Markt, zusätzlich gab es zahlreiche Produktkandidaten, die bereits in frühen Phasen verpartnert und auslizenziert worden waren. „In den vergangenen zwei Jahrzehnten gab es bedeutende deutsche Biotech-Erfolge, die zwar nicht alle ihr volles Wertschöpfungspotenzial hierzulande ausschöpfen konnten, die aber ein Beweis für die Leistungsfähigkeit der deutschen Biotech-Branche sind – auch jenseits von Corona-Impfstoffen“, betont Ort.
Allianzvolumen auf Rekordniveau, M&A-Markt bricht ein
Mit einem potenziellen Allianzvolumen von starken 14,2 Milliarden Euro war das Jahr 2022 ein Rekordjahr – im Vergleich zum Vorjahr hat es sich mehr als vervierfacht. Verantwortlich hierfür sind sechs Megadeals mit Volumina jeweils über 500 Millionen Euro – „ein deutliches Zeichen dafür, dass die deutsche Biotechnologie international mit ihren innovativen, hochattraktiven Technologieplattformen gefragt ist“, so Bauer.
Die Zahl der Deals blieb im Vergleich zum Jahr zuvor relativ stabil: Waren es 2021 48, sind es 2022 44 Deals gewesen. Insgesamt waren Biotechnologieunternehmen aus Deutschland an 39 Prozent des gesamten europäischen Allianzvolumens beteiligt. Allerdings nimmt nach wie vor nur eine kleine Minderheit der deutschen Biotechnologie-Unternehmen am Transaktionsgeschehen teil, sagt Bauer: „Einige wenige Mega-Allianzen treiben das Transaktionsvolumen in neue Rekordhöhen.“ Europaweit legte das Allianzvolumen gegenüber dem Vorjahr um 52 Prozent auf 36 Milliarden Euro zu. Die deutsche Biotechnologie-Branche belegt im Europa-Ranking mit 14,2 Milliarden Euro den zweiten Platz hinter dem Vereinigten Königreich (21 Milliarden Euro).
Während es bei den Allianzen kräftig aufwärts ging, brach der M&A-Markt im vergangenen Jahr ein: Nach Höchstständen von jeweils mehr als zwei Milliarden Euro in den Jahren 2020 und 2021 ist das M&A-Gesamtvolumen unter Beteiligung deutscher Biotech-Unternehmen im vergangenen Jahr auf 270 Millionen Euro gesunken (minus 87 Prozent gegenüber 2021). Die Gründe hierfür waren die schwierige Konjunkturlage, gesunkene Börsenkurse und eingebrochene Bewertungen. Auch die Anzahl der Deals ging zurück: von 21 auf 15. Bauer: „Das M&A-Geschehen hat einen Tiefstand erreicht – trotz der eigentlich vielversprechenden Produktpipeline. Die geringen M&A-Aktivitäten dürften auch darauf zurückzuführen sein, dass Pharma-Unternehmen derzeit eher auf Allianzen als auf Zukäufe setzen, um ihre drängenden Pipeline-Probleme zu lösen.“