Graduiertenkolleg zur Krebs-Chirurgie: Deutsche Forschungsgemeinschaft bewilligt zweite Förderperiode
Bessere Sensoriken für kürzere Operationszeiten und erhöhte Patientensicherheit: Das Graduiertenkolleg (GRK) „Intraoperative multisensorische Gewebedifferenzierung in der Onkologie“, an dem die Universität Stuttgart und die Universität Tübingen beteiligt sind, forscht seit 2019 im Bereich Medizintechnik. Mithilfe neuer Sensorik-Methoden wollen die Forschenden helfen, chirurgische Eingriffe bei Krebspatient*innen wirksamer und sicherer zu gestalten.
Nach erfolgreicher Evaluierung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) geht das Kolleg 2024 in die zweite Förderperiode: Insgesamt 34 Nachwuchsforschende werden in den kommenden viereinhalb Jahre mit rund 4,5 Millionen Euro gefördert. Der Fokus des GRK liegt darauf, neue Sensorprinzipien für die Gewebedifferenzierung durch Methoden der Sensorfusion und des Machine Learning für Kliniker*innen in der OP-Situation nutzbar zu machen. „Wir freuen uns, dass wir die erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit von Expert*innen aus der Systemtechnik, Informatik und Physik mit den klinischen Bereichen der Urologie, Gynäkologie und der Pathologie fortsetzen können“, sagt Oliver Sawodny, Professor am Institut für Systemdynamik der Universität Stuttgart und Sprecher des GRK.
Präzise Tumorentfernung dank verbesserter intraoperativer Diagnostik
Tumore werden heute in vielen Fällen minimalinvasiv entfernt. „Die Schlüsselloch-Chirurgie ist ein Segen für die Patientinnen und Patienten, da wir große Ausschnitte vermeiden und mit einer Kamera in den Bauchraum schauen, die alles vergrößert darstellt“, sagt Professor Sara Brucker. Die Ärztliche Direktorin der Universitäts-Frauenklinik Tübingen ist stellvertretende Sprecherin des GRK.
Ziel der onkologischen Eingriffe ist eine vollständige Tumorresektion, also die komplette Entfernung des bösartigen Gewebes. Gleichzeitig versuchen die Chirurg*innen, die Strukturen im Umfeld des Tumors so weit wie möglich zu schonen und so viel gesundes Gewebe wie möglich zu erhalten. Um gesundes von bösartigem Gewebe zu unterscheiden und die Tumorränder präzise zu bestimmen, sind sie auf eine gute intraoperative Diagnostik angewiesen. Aktuell gilt hier die histopathologische Schnellschnittuntersuchung als Goldstandard. Da diese außerhalb des Operationssaals von Patholog*innen ausgewertet wird, kommt es zu einer verlängerten Operationszeit. Außerdem ermöglicht der Schnellschnitt keine umfassende Erfassung der Heterogenität und Komplexität des Tumors.
Ziel des Graduiertenkollegs ist es, ergänzende diagnostische Methoden zu entwickeln, die eine Gewebedifferenzierung mit hoher Informationsgüte in Echtzeit direkt im OP ermöglichen: Bei der multisensorischen Gewebedifferenzierung untersuchen minimalinvasive Sensoren während der OP optische, mechanische und elektrische Gewebeparameter. Die gewonnenen Informationen werden mit Bilddaten kombiniert und mit präoperativ gewonnenen histopathologischen Untersuchungsergebnissen abgeglichen. „Ziel ist, das Gewebe schon im Bauchraum differenzieren zu können“, sagt Sara Brucker. „Das Verfahren könnte eine Verkürzung der Operationsdauer und eine Verbesserung des postoperativen Ergebnisses hinsichtlich Funktionserhalt und Rezidivhäufigkeit bewirken“, so Oliver Sawodny.
Interdisziplinäre Forschung in drei Schwerpunktbereichen
Das Graduiertenkolleg forscht in drei Schwerpunktbereichen: „Sensorentwicklung“, „Modellierung und Klassifikation“ und „Chirurgie und Pathologie“. Naturwissenschaftler*innen und Mediziner*innen arbeiten in den Projekten Hand in Hand. Die Einrichtung eines „Joint Lab“ mit Anbindung an die Schnellschnittdiagnostik in der Universitätsklinik Tübingen ermöglicht einen besonders engen Austausch zwischen den Disziplinen.
In der ersten Förderperiode ist es dem Team unter anderem gelungen, die grundlegende Sensitivität der vorgeschlagenen, neuen Sensorprinzipien in einem Proof of Concept zu zeigen. Klinischer Fokus lag dabei auf Anwendungsfällen in der Gynäkologie und Urologie. Schwerpunkte in den kommenden viereinhalb Jahren sollen unter anderem auf der intraoperativen Gewebecharakterisierung in hoher Auflösung sowie der Kopplung mit einer 3D-Lokalisierung der Organe und Sensorinstrumente liegen.