Herzzellen erfrischen ihr Zellmilieu durch Saug-Pump-Bewegung
Wie es Herzmuskelzellen gelingt nach jedem Herzschlag das sie umgebende Milieu zu regenerieren, erklären jetzt Freiburger Wissenschaftler mit einem mikroskopischen Pump-Mechanismus. Dieser bietet auch neue Therapieansätze bei Herzkrankheiten.
Bei jedem Herzschlag werden geladene Teilchen aus der Muskelzelle heraus- und andere hineingepumpt. Wie diese Ionen-Verteilung nur Bruchteile einer Sekunde später – vor dem nächsten Herzschlag – wieder in ihren Ursprungszustand zurückversetzt wird, war bislang ein Rätsel. Genau das konnten nun Wissenschaftler*innen des Universitäts-Herzzentrums Freiburg · Bad Krozingen gemeinsam mit italienischen und US-amerikanischen Kollegen erkunden. Dafür untersuchten sie das sogenannte Transversal-Tubuli-System. Dieses verzweigte mikroskopische Röhrensystem durchzieht Herzzellen, und es ist mit Flüssigkeit aus dem Zellzwischenraum gefüllt. Die Forschenden zeigten nun, dass dieses Netz pro Herzschlag zwei Mal gequetscht wird. Dadurch kommt es deutlich schneller als ohne diesen Vorgang zu einer gleichmäßigen Teilchen-Verteilung im Röhreninhalt und damit zu einer beschleunigten Erholung der Herzzellen. Erstmals ist den Forscher*innen auch ein dreidimensionales Bild der Tubuli in verschiedenen Phasen der Herzaktivität gelungen. Ihre Erkenntnisse veröffentlichten sie am 22. Januar 2021 im Titel-Beitrag des Fachmagazins Circulation Research.
„Der von uns neu entdeckte Pumpmechanismus in Herzzellen ist ein Schlüssel, um die enorme Leistungsfähigkeit des Herzens besser zu verstehen. Gleichzeitig verspricht er vollkommen neue Therapieansätze für Herzschwäche und andere Herzkrankheiten“, sagt die Erstautorin der Studie, Dr. Eva Rog-Zielinska, vom Institut für Experimentelle Kardiovaskuläre Medizin des Universitäts-Herzzentrums Freiburg · Bad Krozingen.
Die Herzmuskelzellen sind mit einem Netzwerk von feinen Röhren durchzogen, die mit extrazellulärer Flüssigkeit gefüllt sind. Dank dieser Transversal-Tubuli gibt es in den Zellen kaum einen Punkt, der mehr als einen Mikrometer vom Zelläußeren entfernt ist. Eine Wimper ist etwa 100 mal dicker. So kann ein sehr schneller und gleichmäßiger Austausch von Stoffen zwischen Zellinnerem und -äußerem stattfinden – rein durch passive Diffusion. Vor ein Rätsel stellte die Wissenschaftler*innen bislang, wie der Austausch in den Röhren selbst stattfindet: für einen passiven Transport mittels Diffusion sind die Röhren zu lang; ein aktiver Mechanismus war bislang nicht bekannt.
Genau diese Lücke hat nun das Freiburger Forschungsteam um Rog-Zielinska, gemeinsam mit Forschenden aus den USA und Italien, geschlossen. Sie konnten zeigen, dass die mechanische Aktivität der Herzzellen den Austausch der Röhreninhalte antreibt, indem sie bei jedem Herzschlag rhythmisch zusammengedrückt werden.
Dadurch wird „abgestandener“ Inhalt aus den Röhren herausgedrückt. Bei Entspannung der Zellen wird der Inhalt dann gegen „frische“ extrazelluläre Flüssigkeit ausgetauscht, die zurück in die Röhren gesaugt wird – ähnlich der Luftbewegungen bei der Nutzung einer Ball-Hupe. „Im Grunde genommen ‚belüften‘ die Herzmuskelzellen das Röhrensystem, das sie durchquert. Wir kennen dieses Prinzip seit langem von Insekten und ihrem Atmungssystem über die röhrenförmigen Tracheen“, erklärt Institutsdirektor Prof. Dr. Peter Kohl. „Dies ist ein sich selbst regulierender Mechanismus, da bei hoher Herzfrequenz – also hohem Bedarf – auch die Anzahl der ‘Ventilations-Zyklen‘ steigt.“
Dieses nun entdeckte autoregulatorische System wird wahrscheinlich durch krankheitsbedingten Zellumbau negativ beeinflusst. Denn wenn sich die Röhren neu anordnen, spärlicher und größer werden, kann dies die Leistungsfähigkeit des Austauschs gefährlich verringern. Darauf aufbauend könnten neue Therapieansätze entwickelt werden, die genau dieses Prinzip in den Blick nehmen.
Diese Forschung wurde in enger Zusammenarbeit zwischen dem Institut für Experimentelle Kardiovaskuläre Medizin Freiburg (Deutschland), dem Europäischen Labor für nicht-lineare Spektroskopie in Florenz (Italien) und den Elektronenmikroskopie-Services der University of Colorado in Boulder (USA) durchgeführt. Anfängliche Phasen der Arbeit wurden von der British Heart Foundation unterstützt; die endgültige Umsetzung wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.