Höheres Langzeitüberleben nach wiederauftretendem Neuroblastom
Nach Hirntumoren gehören Neuroblastome zu den häufigsten Tumoren im Kindes- und Jugendalter: Jährlich erkranken in Deutschland etwa 120 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren an diesem bösartigen soliden Tumor des sogenannten sympathischen Nervensystems mit einer hohen Rückfallrate (Rezidiv) von ca. 50 Prozent. Lange Zeit galt das Rezidiv eines Neuroblastoms mit Metastasen in anderen Körperregionen als unheilbar und stellt nach wie vor eine der größten Herausforderungen in der pädiatrischen Onkologie dar. Doch eine neue multizentrische Langzeitstudie unter Federführung der Universitäts-Kinderklinik Tübingen beweist nun, dass eine Kombinationstherapie aus einer haploidenten Stammzelltransplantation – bei der üblicherweise ein Elternteil Spender für das erkrankte Kind ist – und einer Immuntherapie die Überlebensrate der betroffenen Kinder nach fünf Jahren deutlich steigern kann. Finanziell unterstützt wurde die Studie von der Stiftung des Fördervereins für krebskranke Kinder Tübingen. Aktuell sind die Studienergebnisse im renommierten internationalen Fachjournal „Journal of Clinical Oncology“ veröffentlicht.
Das sympathische Nervensystem ist Teil des autonomen Nervensystems und steuert die Aktivität der inneren Organe sowie automatische Funktionen des Körpers wie Atmung und Herzschlag. Neuroblastome sind für mehr als 10 Prozent der Todesfälle bei Krebserkrankungen im Kindesalter verantwortlich und treten überwiegend im frühen Kindesalter auf – 90 Prozent der Patientinnen und Patienten sind jünger als sechs Jahre, der Altersdurchschnitt bei Diagnosestellung liegt bei 14 Monaten. Die standardisierte Therapie beinhaltet eine Operation, Chemo- oder Strahlentherapie, auch der Immuntherapie kommt eine stets stärker werdende Bedeutung zu. „Die Immuntherapie des Neuroblastoms hat in Tübingen lange Tradition, bereits in den 1990er Jahren wurde hieran intensiv geforscht“, so Studienleiter Prof. Peter Lang, kommissarischer Ärztlicher Direktor der Allgemeinen Pädiatrie, Hämatologie und Onkologie an der Tübinger Kinderklinik.
Gemeinsam mit Dr. Tim Flaadt leitete er die multizentrische Studie, die seit 2015 neben Tübingen auch an den Universitätskliniken Greifswald, Graz und Wien durchgeführt wurde. Typisches Ziel der Immuntherapie des Neuroblastoms ist das Oberflächen Antigen GD-2, welches sich mit dem Antikörper namens Dinutuximab beta angreifen lässt. Dieser Antikörper ist seit 2017 in der Europäischen Union zugelassen, die Forschungsdaten aus der hier vorliegenden Studie haben unter anderem zur Zulassung beigetragen. Der Antikörper vermittelt seine Wirkung durch das Immunsystem der Patientinnen und Patienten. Generell kann bei Menschen mit Rezidiv einer Krebserkrankung das Immunsystem geschwächt sein, so auch bei Kindern mit einem Neuroblastom Rezidiv. Die Folge ist, dass der Antikörper seine volle Wirkung nicht erreichen kann. „Aus diesem Grund kann die Immuntherapie nicht alleinige erfolgversprechende Unterstützung zur konventionellen Tumortherapie sein. Dies bildete die Grundlage unserer langjährigen Studie, ebenso wie zuvor vorliegende Studien, die zeigen, dass die Etablierung eines neuen Immunsystems durch eine Stammzelltransplantation auch bei soliden Tumoren zur Tumorkontrolle führen kann“, so Prof. Lang weiter.
Kombinationstherapie Stammzelltransplantation und Immuntherapie
In der nun vorliegenden multizentrischen Studie mit insgesamt 68 Patientinnen und Patienten wurden deshalb beide Therapieansätze kombiniert: Nach individueller Rezidiv-Therapie erhielten die Kinder und Jugendlichen zur Konsolidierung eine sogenannte haploidente Stammzelltransplantation – eine halb-identische Stammzelltransplantation von einem Elternteil. Darauf folgte eine Immuntherapie mit dem Anti GD-2 Antikörper Dinutuximab beta sowie subkutanem Interleukin 2. „Die Verträglichkeit der Therapie war insgesamt sehr gut, transplantationsassoziierte Nebenwirkungen traten nur selten auf“, berichtet Kinderonkologe Dr. Tim Flaadt. „Vor allem aber konnten wir mit unserer Studie die bislang besten Ergebnisse für die jungen Neuroblastom-Patientinnen und -Patienten erzielen: Knapp acht Jahre nach Ende der Langzeitstudie wissen wir, dass 53 Prozent der 68 Kinder und Jugendlichen mindestens fünf Jahre überlebt haben, 43 Prozent davon ereignisfrei, das bedeutet ohne Rezidiv bzw. Fortschreiten der Erkrankung. Für eine solch schwerwiegende Diagnose sind diese Zahlen sehr vielversprechend, wir können davon ausgehen, dass mit der Kombinationsbehandlung aus Stammzelltransplantation und Immuntherapie ein Langzeitüberleben bei Neuroblastom Rezidiv möglich ist.“ Ziel des Forscherteams um Prof. Lang und Dr. Flaadt ist es nun, diese vielversprechenden Ergebnisse in einer europaweiten randomisierten Studie zu prüfen.
Die Stiftung des Fördervereins für krebskranke Kinder wurde eigens dafür gegründet, um kliniknahe und klinische pädiatrische Forschung in Tübingen zu unterstützen. Sie gehört zwischenzeitlich zu den großen Stiftungen in Deutschland. „Unser besonderer Dank gilt der Stiftung, die es in langjähriger und kontinuierlicher Unterstützung ermöglicht hat, diese Neuroblastomstudie mit ihren aussichtsreichen Ergebnissen durchzuführen“, sagt Prof. Lang.