INITIATE²: Infektionsstation im Baukastenprinzip
Angenommen irgendwo auf der Welt, fernab der Zivilisation, bricht eine hochansteckende tödliche Krankheit aus. Eine Infrastruktur mit Infektionsstation, abgetrennten Behandlungsbereichen und Isolierzimmern gibt es nicht. Örtliches medizinisches Personal und Hilfsorganisationen können keine Hilfe leisten, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Für viele Länder ist solch ein Szenario Realität. Im Rahmen des neuen Projekts INITIATE2 entwickeln die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das Welternährungsprogramm (WFP) mit der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin des Universitätsklinikums Tübingen zusammen mit weiteren Partnern gemeinsam ein mobiles und modulares System aus Zelt- und Containerbauten. So soll die sichere Versorgung von infizierten Menschen überall auf der Welt gewährleistet werden – auch in Deutschland, wenn Infektionsbetten knapp werden wie vereinzelt während der Corona-Pandemie.
Epidemien treten nicht nur immer häufiger auf, auch ihre Ausbreitung ist in den letzten Jahren schneller und weitläufiger geworden. Wie wichtig eine funktionierende medizinische Infrastruktur für die Versorgung betroffener Patientinnen und Patienten als auch die Eindämmung der Krankheitsverbreitung ist, ist vielen Menschen insbesondere seit der weltweiten Corona-Pandemie bewusst. Diese Infrastruktur ist fernab größerer Städte und insbesondere in Entwicklungsländern jedoch kaum vorhanden, sodass Erkrankte bei Ausbruchsgeschehen nur schwer isoliert werden können. Ein Team der Tübinger Universitätsklinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin um Katastrophenmediziner Dr. Robert Wunderlich arbeitet gemeinsam mit der WHO und dem WFP an einer Lösung. Dabei ist vor allem der Bereich Training und Ausbildung am und im Modul der Aufgabenbereich der Tübinger Medizinerinnen und Mediziner.
Mobile Behandlungsbasis für Notfalleinsätze
Im Rahmen des internationalen Projekts INITIATE2 entwickeln sie ein modulares und mobiles System aus Container- und Zeltbauten, das bei Krankheitsausbrüchen und Krisensituationen alleinstehend oder als Anbauten an Krankenstationen eingesetzt werden kann. Zu dieser mobilen Behandlungsbasis („Highly Infectious Treatment Module“) gehören rote und grüne Zonen der Behandlungsmodule, medizinische Geräte sowie Labor- und krankheitsspezifische Einheiten. Die einzelnen Module sollen leicht zu transportieren, autark und je nach Bedarf im Baukastensystem zusammengestellt und aufgebaut werden können, um innerhalb von 24 Stunden überall auf der Welt einsatzbereit zu sein.
Im Juni 2021 startete das auf fünf Jahre ausgelegte internationale Projekt, an dem auch Partner wie ALIMA (The Alliance for International Medical Action), Ärzte ohne Grenzen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz beteiligt sind. Ein erster Prototyp der mobilen Zentren zur Behandlung gefährlicher Infektionskrankheiten wie Ebola, Diphtherie und dem Marburg-Fieber befindet sich aktuell in Bau und soll bis 2023 in Betrieb gehen. Expertise kommt dabei auch von Tübinger Medizinerinnen und Medizinern aus dem Tübinger Patientensicherheits- und Simulationszentrum „tüpass“, unter der Leitung von Dr. Robert Wunderlich. Gemeinsam mit seinem Team ist er für den Trainingsaspekt der Einsatzteams zuständig und erarbeitet ein Handbuch sowie Videoanleitungen zum strukturellen Aufbau für medizinisches Fachpersonal rund um den Globus.
Stellprobe für ersten Prototyp
Anfang Oktober 2022 wurde am Uniklinikum Tübingen bei einer Simulation auf einer Fläche von rund 20 x 25 Metern der optimale Raum für den Einsatz beim Ausbruch hochansteckender Viren entwickelt. Ein 20-köpfiges Team um Wunderlich mit Fachleuten von WHO, WFP und „tüpass“ entwarf die mobile Infrastruktur. Dabei konnten sie Abläufe mit entsprechender klinischer Aktivität proben und Daten sammeln, auf deren Grundlage der Prototyp entsteht.
Wie wichtig eine solche modulare Lösung ist, weiß Wunderlich, der bereits seit Jahren in der humanitären Hilfe arbeitet: „Oftmals stehen lediglich Zelte ohne jegliche Sichtfenster zur Verfügung, die für das ärztliche und pflegerische Personal ein hohes Infektionsrisiko darstellen.“ Deswegen sollen die mobilen Zentren mit Sichtfenstern und fixierten Handschuhen ausgestattet werden: Neben Mobilität steht der Infektionsschutz beim Modul-Design an erster Stelle.
Im nächsten Schritt muss nun ein Industriepartner gefunden werden, um den Prototyp zu erstellen. Danach folgen weitere, groß angelegte Trainingseinheiten.