Innovative Methode zur verbesserten Analyse von Implantaten in der Medizintechnik
Implantate sind Materialien, die eingepflanzt in unseren Körper über einen bestimmten Zeitraum, oder sogar für immer, dort verweilen. Wie gut und lange ein Implantat seinen Dienst verrichtet, hängt maßgeblich von der Reaktion unseres Immunsystems ab. Welche Materialeigenschaften die Zellen dabei positiv beeinflussen, und chronische Entzündungen verhindern, ist bislang kaum bekannt. Forschende des NMI Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Instituts in Reutlingen und der Medizinischen Fakultät der Universität Tübingen haben eine neue Möglichkeit entdeckt, den Einfluss der Oberflächenbeschaffenheit von Implantaten auf das angeborene Immunsystem zu erforschen.
Implantate wie beispielsweise künstliche Gelenke, Herzklappen oder auch Stents verbessern die Lebensqualität vieler Menschen. Die künstlichen Ersatzteile bestehen meist aus nicht-organischen Materialien, wie etwa Titan oder Keramik. Wird ein Implantat operativ eingesetzt, reagiert unser Immunsystem oft schnell, erkennt den Gegenstand als fremden Eindringling und beginnt diesen zu bekämpfen. Dieser angeborene Schutzmechanismus unseres Körpers kann allerdings zu chronischen Entzündungen führen, Bewegungseinschränkungen oder ein erhöhtes Risiko für Blutgerinnsel verursachen. Die Folge dieser entzündlichen Prozesse ist eine Beeinträchtigung der Materiallebensdauer und bedeutet im schlimmsten Fall eine erneute Operation.
Bestimmte Materialeigenschaften können den Heilungsprozess beschleunigen
Makrophagen, auch Fresszellen genannt, gehören zu den weißen Blutkörperchen und haben sich zur Aufgabe gemacht, Viren, Bakterien und körperfremde Zellen, welche in unseren Körper eindringen, anzugreifen und zu vernichten - ebenso Implantate. Diese systematische Bekämpfung von Fremdkörpern leitet einen Entzündungsprozess ein. Inzwischen weiß man, dass vor allem die physikalische Beschaffenheit, beispielsweise die Oberflächenstrukturen eines implantierten Materials, einen großen Einfluss auf körpereigene Zellen hat und damit auf die Reaktion unseres Immunsystems.
Unentwegtes Ziel der Medizintechnik ist die Entwicklung heilungsfördernder Materialien für Implantate, die gezielt Entzündungsprozesse verhindern. Welche Materialeigenschaften sich allerdings positiv auswirken und welche unerwünschte Effekte im Körper hervorrufen, ist dabei noch kaum untersucht.
Ein Grund hierfür liegt unter anderem darin, dass Immunzellen an dem zu untersuchenden Material festkleben und nur schwerlich analysiert werden können. „Wir müssen immer abwägen: Lösen wir die Makrophagen ab und verlieren dabei wichtige Informationen? Oder behalten wir sie in Kultur und machen Abstriche bei der Qualität unserer Daten. Mit der Raman Mikrospektroskopie müssen wir diesen Kompromiss nicht mehr eingehen“, so Dr. Julia Marzi, Gruppenleiterin der Arbeitsgruppe Biophotonik und Spektroskopie am NMI und Nachwuchsgruppenleiterin im Department für Medizintechnik und Regenerative Medizin an der Medizinischen Fakultät der Universität Tübingen.
Herkömmliche Analyseverfahren sind aufwendig und liefern nicht genug Informationen – die nicht-invasive Raman Mikrospektroskopie gibt wertvolle Einblicke
Die Raman Mikrospektroskopie ist eine Methode die sehr gut in den Materialwissenschaften etabliert ist, jüngst wird sie auch in der Biologie erfolgreich eingesetzt. Das spektroskopische Verfahren analysiert die Lichtstreuung einer Probe, die vergleichbar mit einem individuellen Fingerabdruck ist und einen Aufschluss über die molekulare Zusammensetzung ermöglicht. Zellen und Gewebe lassen sich auf diese Weise bildlich darstellen und analysieren. „Durch diese innovative Methode, welche ohne jegliche invasiven Eingriffe auskommt, konnten wir erstmals zeigen, dass Makrophagen sich vor allem in ihrer Lipidzusammensetzung unterscheiden“, so Nora Feuerer, Wissenschaftlerin am NMI. Je nachdem, wie sie behandelt wurden oder mit welchem Material sie interagiert haben, zeigten die Zellen eine andere Zusammensetzung in ihrer Zellmembran. Zukünftig ist es denkbar, potenzielle Implantat Materialien in der Entwicklung mithilfe der Raman Mikrospektroskopie zu analysieren. In Hinblick auf die personalisierte Medizin, wäre es möglich die Interaktion von isolierten Patient*innen-Makrophagen und der Oberfläche eines medizinischen Produkts im Vorfeld einer Operation spektroskopisch zu untersuchen.
Diese Arbeit wurde gefördert durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg, das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg und die Deutsche Forschungsgemeinschaft.