Innovative Wirkstoffforschung
Neue Wirkstoffe sollen helfen, virale Zoonosen – Infektionen, die von Tieren auf Menschen überspringen – zu stoppen. Um geeignete Hemmstoffe zu erforschen, erhält Prof. Dr. Christian Klein vom Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie (IPMB) der Universität Heidelberg eine Projektförderung der VolkswagenStiftung in Höhe von 450.000 Euro. Im Mittelpunkt des Projektes stehen Flavi- und Coronaviren, die Infektionskrankheiten wie Zika, Dengue, West-Nil-Fieber oder das Middle East Respiratory Syndrome (MERS) verursachen. Ziel ist es, Wirkstoffe gegen diese Erreger zu identifizieren und in präklinischen Studien weiterzuentwickeln. Dazu arbeiten der Heidelberger Wissenschaftler und sein Team mit einem Partnerunternehmen in der pharmazeutischen Industrie zusammen.
Der Ansatz der Heidelberger Wissenschaftler basiert auf neuen Erkenntnissen zu sogenannten Proteaseinhibitoren. Dabei handelt es sich um Moleküle, die die Aktivität von viralen Enzymen in der Zelle hemmen. Diese Enzyme, in der Fachsprache als Proteasen bezeichnet, sorgen für die Spaltung von langen Proteinketten – dem viralen „Polyprotein“ –, die die Bestandteile für neue Viren enthalten und somit die Virusvermehrung ermöglichen. Mithilfe von geeigneten Hemmstoffen kann dieser Prozess gezielt unterbunden werden. In einigen Fällen werden Proteaseinhibitoren bereits in der antiviralen Therapie eingesetzt. Sie liefern beispielsweise einen entscheidenden Beitrag zur Behandlung von HIV-Infektionen. „Aufbauend auf unseren bisherigen medizinisch-chemischen Arbeiten zum Dengue-Fieber wollen wir die Suche nach Wirkstoffen, die an diesem Punkt der Virusvermehrung ansetzen, auf bislang weniger beachtete Erreger wie das MERS-Coronavirus und das West-Nil-Virus, aber auch auf SARS-CoV-2 ausweiten“, erklärt Christian Klein, Leiter der Arbeitsgruppe für Medizinische Chemie am IPMB. Erfolgversprechende Substanzen mit klinischem Translationspotential sollen zusammen mit einer niederländischen Pharmafirma zur Anwendung weiterentwickelt werden.
Entscheidend bei diesen Forschungsarbeiten ist nach Angaben des Wissenschaftlers, dass die an der Vermehrung von Viren beteiligten Prozesse in ihrer natürlichen Umgebung innerhalb von Zellen untersucht werden. Hierbei kommen Reportergen-Assays zum Einsatz. Dabei handelt es sich um intrazelluläre Modellsysteme, die es den Wissenschaftlern ermöglichen, die Effekte von Substanzen an dem angezielten Ort der Wirkung zu untersuchen. „Diese zellbasierten Untersuchungssysteme haben bereits einen entscheidenden Beitrag geleistet zur Entdeckung und Optimierung von neuen Substanzklassen aus unserem Labor, die sich derzeit in der präklinischen Entwicklung befinden“, sagt Prof. Klein. Mit den von seiner Forschungsgruppe entwickelten In-vitro-Testsystemen werden nun umfangreiche Substanzsammlungen nach neuen Wirkstoffen gegen Flavi- und Coronaviren durchsucht. Anschließend sollen sie chemisch optimiert und auf ihre antivirale Wirkung hin getestet werden.
Von der Entwicklung weiterer Proteasehemmer erwartet sich der Heidelberger Wissenschaftler besondere Vorteile im Kampf gegen existierende und neuartige virale Bedrohungen. „Wir erhoffen uns eine höhere Breitenwirksamkeit, als diese mit hochspezialisierten und auf einen Erreger zugeschnittenen Impfstoffen erreicht werden kann“, betont Christian Klein. „Wir müssen auch in Zukunft damit rechnen, dass Flavi- oder Coronaviren von Tieren wie Kamelen, Fledermäusen, Pferden, Vögeln und Affen auf den Menschen übergehen. Proteaseinhibitoren können das im Fall eines Ausbruchs schnell verfügbare Arzneimittelarsenal ergänzen“.
Das Heidelberger Projekt mit dem Titel „Preclinical development of antiviral protease inhibitors targeting flavi- and coronaviruses“ erhält die Förderung im Rahmen der Sonderausschreibung „Virale Zoonosen – Innovative Ansätze in der Wirkstoffentwicklung“, die als Antwort auf die weltweite Coronavirus-Pandemie eingerichtet wurde. Die VolkswagenStiftung unterstützt damit anwendungsorientierte Forschungsprojekte, die sich mit der Entwicklung von innovativen Therapeutika zur Bekämpfung von viralen Erregern wie SARS-CoV-2 und weiteren viralen Zoonosen beschäftigen. Grundvoraussetzung für eine Förderung ist, dass ein europäisches Unternehmen zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein potenzielles Translationsinteresse angemeldet hat. Die Arbeiten an der Universität Heidelberg werden als eines von zwölf Forschungsvorhaben unterstützt. Das Gesamtfördervolumen liegt bei rund sieben Millionen Euro.