Interview mit Dr. Christian Schmees und Prof. Dr. Peter Loskill
„Entscheidend ist die Effizienz bei der Zerstörung von Tumorzellen“
CAR-T-Zellen sollen die Krebstherapie revolutionieren. Um diese Helfer in Zukunft kostengünstiger als bisher und direkt am Ort der Behandlung zu gewinnen, arbeiten derzeit mehrere Partner zusammen an „Minifabriken“. Wie sich die individuelle Wirkung der CAR-T-Zellen mit Organ-on-Chip-Modellen vorhersagen lässt, daran forschen Dr. Christian Schmees und Prof. Peter Loskill vom NMI Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut in Reutlingen.
Wie wirken CAR-T-Zellen in der Krebstherapie?
Dr. Schmees: CAR-T-Zellen stellen eine noch neue Art der Tumortherapie dar, bei der man Immunzellen des Patienten, die körpereigenen T-Lymphozyten, genetisch verändert und gegen den Tumor einsetzen kann.Aktuell ist das Verfahren kostspielig und muss von spezialisierten Laboren durchgeführt werden.
Was kann Ihr Projekt daran ändern?
Dr. Schmees: Im Projekt SolidCAR-T arbeiten Forschende des Fraunhofer IPA in Stuttgart, des Universitätsklinikums Tübingen und des NMI in Reutlingen daran, die Produktion der CAR-T-Zellen zu dezentralisieren: Das heißt, dass die Herstellung der Zellen am Ort der Behandlung – in der Klinik – stattfindet und nicht mehr an anderen Produktionsstandorten. Zum einen wollen wir in unserem Projekt einen Prozess validieren, mit dem das gelingt. Zum anderen geht es um die Qualitätskontrolle des zelltherapeutischen Produkts. Aktuell gibt es dafür wenige Mechanismen. Am NMI haben wir verschiedene Technologien, mit deren Hilfe wir früher im Produktionsprozess Informationen darüber erhalten wollen, wie wirksam das Produkt für den Patienten ist. Bei Leukämiepatienten zum Beispiel wurde die Therapie mit CAR-T-Zellen schon erfolgreich eingesetzt. Es gibt aber immer wieder auch Patienten, die wenig bis gar nicht darauf ansprechen. Wenn im Produktionsprozess Qualitätsprobleme oder Hinweise darauf sichtbar werden, dass die Therapie nicht effizient sein wird, könnte man Veränderungen einbauen. Den Therapieerfolg frühzeitig abzusehen, ist natürlich von Vorteil für den Patienten.
Wir haben es mit einem natürlichen, da zelltherapeutischen und auch sehr individuellen Produkt zu tun. Wie lässt sich die Qualität messen?
Prof. Loskill: Tatsächlich trifft die klassische Qualitätskontrolle auf diese neuartigen Modalitäten nicht mehr zu. Die Frage ist: Wirkt die Therapie? Das ist aufgrund der Patientenspezifizität eine Frage, die sich nicht generisch beantworten lässt: Das Produkt kann für den einen wirken, aber für die andere nicht. Deswegen stellt sich das Thema Qualitätskontrolle anders dar als bei klassischen Pharmazeutika.
Was sind „gute“ T-Lymphozyten?
Dr. Schmees: Entscheidend ist natürlich die Effizienz dieser Zellen bei der Zerstörung von Tumorzellen. Dabei helfen uns zum einem patientenabgeleitete Modellsysteme, das heißt, wir arbeiten tatsächlich mit Tumorzellen des Patienten und nicht etwa der Maus. Zum anderen nutzen wir ein Organ-on-a-Chip-System: Wir geben CAR-T-Zellen und Tumorzellen nicht einfach zusammen in eine Zellkulturschale, sondern sorgen im mikrofluidischen On-Chip-System für eine Perfusion mit Nährstoffen. So entsteht ein Modell, mit dem man noch besser vorhersagen kann, ob die CAR-T-Zellen auf den Patiententumor tatsächlich eine Wirkung zeigen werden.
Wie genau funktioniert das Organ-on-Chip-System?
Prof. Loskill: Grob können Sie sich das so vorstellen: Zellen oder Gewebe befinden sich im Körper in einer Mikroumgebung, in der viele Faktoren auf sie einwirken. Es finden komplexe biomechanische und biochemische Prozesse statt. Nehmen wir diese Zellen heraus und legen sie in eine Plastikschale, verhalten sie sich dort nicht genauso wie im Körper. Eine Zelle funktioniert wie eine Zelle aufgrund vieler Umgebungsfaktoren. Die Organ-on-Chip-Technologie versucht, diese außerhalb des Körpers nachzubilden. Man wird dabei nie alles nachbilden können, aber das Ziel ist, dass die Zellen möglichst so reagieren, wie sie es im menschlichen Körper tun. Da ist die blutgefäßähnliche Versorgung ein wichtiger Aspekt, aber auch die Modellierung der Mikroumgebung des Tumors.
Wie arbeiten Sie mit der Organ-on-Chip-Technologie?
Dr. Schmees: Wir wollen so nahe am Patienten wie möglich arbeiten und den Tumor deshalb so wenig wie möglich verändern. Aus der Uniklinik bekommen wir eine Probe von sogenanntem Tumorrestgewebe, das nach der chirurgischen Entfernung und der Diagnosestellung übrigbleibt. Diese wird bei uns mechanisch zerkleinert und mithilfe von Enzymen in noch kleinere Strukturen gebracht. Als Ergebnis erhält man Mikrotumore: Dreidimensionale Gebilde, die aus verschiedenen Arten von Zellen bestehen. Diese Mikrotumore kultivieren wir im Labor – dabei kommt der Chip zum Einsatz.
Prof. Loskill: Diesen Chip kann man sich wie einen Lego-Block vorstellen. Er ist ein Polymer-3D-Modul: In dieses sind kleine Kanäle eingebaut, in der Größenordnung von einem Haar, die Blutgefäße imitieren. Man kann sie mit den Zellen auskleiden, die in menschlichen Blutgefäßen zu finden sind. Zusätzlich gibt es Kammern, in denen das Gewebe erzeugt wird. Dort werden die Mikrotumore eingebaut. Das Ganze wird an eine Perfusion angeschlossen, die man sich als eine Spritzenpumpe vorstellen kann. Mit ihr kann man das Gewebe kultivieren und die CAR-T-Zellen hindurchspülen. Im Modell schauen wir uns dann an, wie aktiv die CAR-T-Zellen sind und ob sie es schaffen, den Tumor abzutöten.
Welche zentralen Erkenntnisse erhoffen Sie sich von diesem Vorgehen?
Dr. Schmees: Es sind viele Dinge interessant in diesem Forschungsprojekt. Zum Beispiel müssen die CAR-T-Zellen, wie im Patienten auch, die Blutbahn verlassen und ins Gewebe kommen. Das ist im Chip dargestellt: Man hat eine Barriere wie im Blutgefäßsystem, die diese Zellen durchdringen müssen. Auch das Gewebe, durch das die Immunzellen hindurchwandern, um diese Mikrotumore zu erreichen, ist nachgebildet. Man simuliert also die Aufgaben der CAR-T-Zellen im Patienten. Unter anderem wollen wir wissen: Wie lange brauchen diese dafür? Wenn man CAR-T-Zellen und Tumorzellen zusammen in eine Zellkulturschale gibt, dauert es nur ein paar Stunden, bis die Tumorzellen zerstört werden. Aber im Chip müssen sie wie im Patienten einige Hürden überwinden, um den Tumor zu erreichen. Wir werden etwa mithilfe von mikroskopischen Techniken über einige Tage beobachten, was in diesen Chips passiert.
Was passiert, wenn Sie diese Erkenntnisse gesammelt haben?
Dr. Schmees: Unser Projekt, am Beispiel des Gallengangkarzinoms die gesamte Entwicklungskette des Therapieprodukts abzubilden, läuft offiziell bis Ende 2022; was aber nicht heißt, dass unsere Arbeiten dann enden. Bei den patientenabgeleiteten Tumormodellen und den Chip-Systemen arbeiten wir in enger Anbindung mit der Uniklinik in Tübingen. Wenn wir ein Projekt wie dieses etablieren, brauchen wir Onkologen, die uns sagen, was ihnen konkret hilft. Deshalb glaube ich, dass der enge Austausch mit den Kliniken eine wichtige Grundlage ist. Es ergeben sich daraus Zusammenarbeiten in weitere Richtungen: Der Ansatz der Qualitätskontrolle bzw. der Überprüfung von therapeutischer Wirkung hat in verschiedenen Aspekten der Patiententherapie eine Bedeutung.
Prof. Loskill: Insgesamt wollen wir einen Prozess erreichen, in dem es keine zentralen Labore mehr braucht, um lokal schnell eine Behandlung mit hohen Erfolgsaussichten vornehmen zu können.
Informationen zum Projekt:
CAR-T-Zelltherapien kommen in der individualisierten Behandlung akuter Leukämien und Lymphome bereits heute zum Einsatz. Eine Herausforderung stellt der nicht standardisierte manuelle Produktionsprozess dieser Zellen als auch der bislang wenig effektive Einsatz dieser Zellen bei soliden Tumoren dar. Im Projekt SolidCAR-T bildet das interdisziplinäre Konsortium aus Fraunhofer IPA, Universitätsklinikum Tübingen und NMI die gesamte Kette von der Prozessentwicklung über die automatisierte und digitalisierte Produktionstechnik bis hin zu neuen In-Vitro-Testverfahren für den Nachweis der Wirksamkeit sowie der In-line-Qualitätskontrolle ab. Am Beispiel des Gallengangskarzinoms wird geprüft, wie sich die zeitaufwendigen Laborprozesse in einer Miniatur-Fabrik umsetzen lassen. Diese Arbeit fördert die Landesregierung unter dem Dach des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg mit 4,2 Millionen Euro.