Bei der Reinigung des Gehirns spielen Immunzellen, Mikroglia genannt, eine zentrale Rolle. Im gesunden und erkrankten Gehirn sammeln die rastlosen Fresszellen den ständig anfallenden Müll ein und verarbeiten diesen in ihren „Mägen“, den Phagosomen weiter. Um diese bisher wenig erforschten Zellbestandteile präzise zu analysieren, haben Forscher*innen des Universitätsklinikums Freiburg nun gemeinsam mit US-Kollegen eine innovative Methode entwickelt. Sie ermöglicht eine schnelle und funktionale Untersuchung der Phagosomen. Damit konnten sie bereits erste wichtige Erkenntnisse über deren Funktionen gewinnen, die Hinweise auf neue Therapieansätze für neurodegenerative Erkrankungen und Hirntumore bieten. Die Ergebnisse der Studie wurden am 15. August 2024 in der Fachzeitschrift Immunity veröffentlicht.
„Wir haben eine völlig neue Methode entwickelt, mit deren Hilfe die Phagosomen in menschlichen Zellen präzise entnommen und untersucht werden können“, sagt Erstautor Dr. Emile Wogram, Arzt und Wissenschaftler am Institut für Neuropathologie des Universitätsklinikums Freiburg. Prof. Dr. Marco Prinz, Ärztlicher Direktor des Instituts für Neuropathologie am Universitätsklinikum Freiburg, ergänzt. „Das wird uns helfen, Erkrankungen wie Alzheimer oder Hirntumore besser zu verstehen und neue therapeutische Ansätze zu entwickeln.“
Zentrale Rolle bei der Reinigung und Wartung des Gehirns
Mikroglia-Zellen sind an vorderster Front der Immunabwehr im Gehirn aktiv. Sie beseitigen zum Beispiel eindringende Bakterien, indem sie sie einhüllen und in ihren „Mägen“, den Phagosomen, weiterverarbeiten. Diese Phagosomen fungieren als eine Art „Müllverwertung“, indem sie die eingehüllten Eindringlinge mithilfe von Verdauungsenzymen abbauen. Auch abgestorbene körpereigene Zellen oder Zellbestandteile werden so täglich von den Fresszellen im gesunden Gehirn beseitigt und recycelt. Wissenschaftlicher*innen sind sich einig, dass die zelluläre Müllabfuhr eine wichtige Rolle in der Hirnentwicklung, im gesunden Gehirn, aber auch in Erkrankungen wie Alzheimer und Hirntumore spielt.
Eine „simple“ Methode bringt den Erfolg
Bislang war es nicht gelungen, die sehr instabilen Phagosomen in einem funktionstüchtigen Zustand aus den Fresszellen zu entnehmen und zu untersuchen. Wogram begann darum am Whitehead-Institut für biomedizinische Forschung, Cambridge, USA, im Labor von Prof. Rudolf Jaenisch mit der Entwicklung einer neuen Methode für Fresszellen in der Zellkultur, welche er anschließend in Freiburg weiterentwickelte, um auch Phagosomen in menschlichen Hirnproben zu analysieren.
Die Methode ist so simpel, wie elegant: Im ersten Schritt werden die Fresszellen geöffnet und die Phagosomen mit Antikörpern an magnetische Kügelchen gebunden. Im zweiten Schritt werden die gebundenen Kügelchen samt der Phagosomen mit einem Magneten isoliert, gewaschen und schließlich analysiert. „Das Ganze dauert gerade einmal eine halbe Stunde und das ist entscheidend, damit die Phagosomen intakt bleiben und ihr Inhalt vor der Analyse nicht verdaut wird“, so Wogram.
Verbindung zum Tumorwachstum und Alzheimer
„Wir konnten mit der neuen Methode bereits zeigen, dass die Phagosomen neben der Beseitigung von Zelltrümmern und Alzheimer-Plaques auch überflüssige oder beschädigte Verbindungen zwischen Nervenzellen entfernen. Dabei konnten wir erstmals genau nachvollziehen, welche Strukturen dafür genau abgebaut werden“, sagt Wogram. Dies eröffnet neue Wege, um die Rolle dieser Zellen bei Lernprozessen und Krankheiten wie Alzheimer besser zu verstehen.
Die neue Methode ermöglichte es den Forscher*innen auch, Unterschiede zwischen Phagosomen in gesunden Geweben und in Tumorgeweben zu messen. Dabei stellten sie fest, dass Phagosomen in Tumorgeweben ungewöhnlich hohe Mengen an Chinolinsäure enthielten, welche für den Stoffwechsel im Gehirn verwendet werden kann, aber auch Nervenzellen schädigen kann.
„Das spannende hierbei ist, dass Fresszellen im Gehirn die einzigen Zellen sind, die Chinolinsäure herstellen können, und diese im Phagosom speichern oder abbauen können. Während bei Alzheimer Chinolinsäure die Nervenzellen schädigen kann, fördert es vermutlich das Wachstum und die Ausbreitung von Hirntumoren.“, so Wogram.
Demnach kommt dem Phagosom eine wichtige Rolle zu: Es kann den Verlauf oder sogar die Entstehung von unheilbaren Hirnerkrankungen beeinflussen. „Sobald wir besser verstehen, wie Phagosomen die Umverteilung von Chinolinsäure kontrollieren, kann uns das einen neuen Ansatzpunkt für die Behandlung von Alzheimer oder Hirntumoren liefern“, sagt Wogram.