Daher ermöglicht das Verständnis der zugrunde liegenden Ursachen eine bessere Entwicklung von Arzneimitteln. In der neuen Studie die im renommierten Wissenschaftsjournal „Nature Communications“ veröffentlicht wurde, haben Forscher der University of Eastern Finland und der Universität Tübingen die Schlüsselfaktoren identifiziert, die bei sogenannten Kinaseinhibitoren für eine lange oder kurze Verweildauer am Zielort verantwortlich sind.
Kinasen sind Enzyme, die entweder auf oder in Zellen an der Weiterleitung von bestimmten Signalen beteiligt sind. Sie spielen zum Beispiel bei der Zellteilung eine Rolle, indem sie „Wachstumssignale“ weitergeben. Kinaseinhibitoren sind Hemmstoffe, die diese Wachstumssignale der Enzyme unterbinden. Viele dieser Hemmstoffe sind bereits für den klinischen Einsatz zugelassen, die meisten davon in der Behandlung von Krebs. "Ursprünglich wollten wir wissen, was die Ursache für die unterschiedliche Verweildauer zweier ähnlicher Kinaseinhibitoren am Zielort ist", sagt der durchführende Forscher und Erstautor Dr. Tatu Pantsar von der University of Eastern Finland.
„Bereits in der frühen Phase der Arzneistoffentwicklung zu erkennen, welche Moleküle geeignet sind, ist ein entscheidender Faktor, da die Entwicklung von Medikamenten äußerst zeitintensiv und kostspielig ist“, sagt Prof. Dr. Stefan Laufer, Leiter der Pharmazeutischen und Medizinischen Chemie am Institut für Pharmazie der Universität Tübingen. Die Gruppe von Prof. Laufer verfügt mit dem „Tübingen Center for Academic Drug Discovery & Development“ (TüCAD2) über ein eigenes akademisches Zentrum zur Wirkstoffentwicklung von Medikamenten, dessen Mitgründer und Sprecher Prof. Laufer ist. Die Forschungsgruppe um Prof. Laufer hat bereits zahlreiche niedermolekularen Kinaseinhibitoren entwickelt, synthetisiert und enzymatisch/biologisch charakterisiert, was die jetzige Forschung ermöglichte. Aus Vorgängerprojekten fanden auch schon Inhibitoren ihren Weg bis zur Erstanwendung am Menschen.
"In der Studie konzentrierten wir uns auf zwei niedermolekulare Kinaseinhibitoren, die in ihrer Hemmstärke am isolierten Enzymtests identisch sind, sich aber in ihrer Verweildauer am Zielenzym unterscheiden, d.h. wie lange ein einzelner niedermolekularer Kinaseinhibitor an das Zielprotein gebunden ist. Wir fanden auch heraus, dass der Inhibitor mit einer längeren Verweildauer bei Tests in Zellen wirksamer war", erläutert Dr. Pantsar.
In der Studie untersuchten und verglichen die Forschenden die niedermolekularen Kinaseinhibitoren zusammen mit ihrem Zielprotein mithilfe von Computersimulationen, die auf finnischen Supercomputern durchgeführt wurden. Das Protein verhält sich je nach dem gebundenen Inhibitor unterschiedlich. "Die Simulationen deuten darauf hin, dass, wenn ein niedermolekularer Inhibitor an das Protein bindet, das Protein dynamischer ist, wenn der Inhibitor mit kurzer Verweilzeit daran gebunden ist. Das bedeutet im Grunde, dass sich das Protein mehr bewegt, wenn es den Hemmstoff mit kurzer Verweilzeit bindet, und weniger, wenn es den Hemmstoff mit langer Verweilzeit bindet.", erklärt Dr. Pantsar.
Wassermoleküle haben dabei einen großen Einfluss auf die Verweildauer des Wirkstoffs am Zielort. "Diese winzigen, aber reichlich vorhandenen Wassermoleküle, die das Protein umgeben, scheinen ausschlaggebend zu sein. Ein wesentlicher Bestandteil der Bindung des Inhibitors beruht auf der Verdrängung von Wassermolekülen.
In den Simulationen war der Inhibitor mit langer Verweildauer den Wassermolekülen weniger ausgesetzt, und die erforderliche Energie für die Wassermoleküle, um die Bindungsstelle des Inhibitors mit langer Verweildauer wieder zu besetzen, war viel höher. Dies führt zu einer höheren energetischen Barriere für die Trennung des Inhibitors von seinem Ziel und damit zu einer längeren Verweildauer des Wirkstoff-Ziel-Komplexes. Die Beobachtungen zum Verhalten des Zielproteins und zur Rolle der Wassermoleküle wurden auch mit einem strukturell vielfältigen niedermolekularen Kinaseinhibitor mit extrem kurzer Verweilzeit bestätigt. Solche Berechnungen (MD-Simulationen) wurden für diesen Typ von Inhibitoren zusammen mit Wassermolekülen erstmals durchgeführt.
Die Ergebnisse können in den frühen Stadien der Medikamentenentwicklung nützlich sein. "Jetzt, da wir die Gründe für die Verweildauer eines Medikaments auf atomarer Ebene besser verstehen, können wir effektivere Moleküle entwerfen, die in der Arzneimittelentwicklung eingesetzt werden können, wenn eine lange Verweildauer gewünscht wird. Natürlich darf man nicht vergessen, dass die Verweildauer am Zielort nur ein Aspekt des sehr komplexen und schwierigen Prozesses der Entwicklung von Arzneimitteln ist, bei dem eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigt werden muss", so Dr. Pantsar abschließend.
An der University of Eastern Finland wurde die Forschung an der Fakultät für Pharmazie und innerhalb der DrugTech Research Community durchgeführt. Die Forschung wurde durch die vom CSC - IT Center for Science Finland - zur Verfügung gestellten Rechenressourcen ermöglicht. Das Projekt war integraler Bestandteil des von Prof. Laufer geleiteten „TüCAD2“, einem Format der Tübinger Exzellenzstrategie. Es belegt eindrucksvoll die Vernetzung von tiefer Grundlagenforschung mit der Anwendung und unmittelbaren Überführung in die Arzneimittelforschung.