„In den 1990er-Jahren begann man systematisch Mutationen in den Genen zu identifizieren, die mit bestimmten Augenerkrankungen in Verbindung stehen“, sagt Prof. Marius Ueffing, Direktor des Forschungsinstituts für Augenheilkunde und Sprecher des neuen Programms RD TREAT (von Retinal Dystrophies Treatment). „Damals war eine Behandlung für die betroffenen Patienten ein ferner Traum. Heute erlebe ich, wie dieser Traum Wirklichkeit wird – nicht nur für uns Forschende, sondern vor allem für diejenigen, die nun Hoffnung haben, ihr Augenlicht zu behalten. Das macht uns zuversichtlich.“ Erbliche Netzhauterkrankungen sind derzeit mit wenigen Ausnahmen unheilbar. In den zahlreichen klinischen Studien weltweit zeigen sich aber neben Rückschlägen auch erste Erfolge. Bedeutende Fortschritte in der Forschung, zu denen die Augenheilkunde der Universität Tübingen in den letzten drei Jahrzehnten wesentlich beigetragen hat, haben ein tieferes Verständnis der komplexen biochemischen, zellulären und neuronalen Mechanismen der visuellen Wahrnehmung erbracht. Diese neuen Erkenntnisse haben dazu beigetragen, die molekularen Grundlagen der Krankheiten, deren Mutationsspektrum mehr als 300 Gene umfasst, besser zu verstehen und Medikamente zur gezielten Behandlung der Netzhautdegeneration zu entwickeln.
Hoffnung, dass das Sehvermögen erhalten bleibt
„Die Tübinger Augenklinik ist stolz darauf, mit dem RD TREAT Programm einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung neuer Therapien für erbliche Netzhauterkrankungen zu leisten", sagt Prof. Karl Ulrich Bartz-Schmidt, Direktor der Universitätsklinik für Augenheilkunde. Als klinischer Netzhauspezialist, der innovative Therapien wie die Chip-Implantation unter der Netzhaut und die Gentherapie bei Farbenblindheit weltweit in Tübingen erstmals zum Einsatz gebracht hat, weiß er, wie wichtig es ist, neue Wege zu gehen und Forschungsergebnisse in die klinische Anwendung zu bringen. „Durch RD TREAT können wir Patientinnen und Patienten mit bislang unheilbaren Augenkrankheiten die Hoffnung geben, dass ihr Sehvermögen erhalten bleibt.“
Die Tübinger Augenheilkunde hat für die nahtlose Translation von der Laborbank zum Patientenbett zusammen mit der SfM ein anwendungserfahrenes Team gebildet. Dabei arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Ärztinnen und Ärzte und die Studienzentrale „Auge und Ohr“ des Departments eng vor Ort mit Arzneimittelentwicklern, Projektmanagerinnen und Zulassungsspezialisten zusammen. „In einem straff geführten Fünf-Jahres-Zeitplan werden die vielfältigen Projektaufgaben gemeinsam von Stiftung und Department für Augenheilkunde koordiniert. Ein sorgfältiger Management- und Projektsteuerungsrahmen mit kurzen Entscheidungswegen sichert die planmäßige Erreichung der gesetzten Ziele, identifiziert frühzeitig Entwicklungsrisiken und adressiert sie“, sagt Prof. Eberhart Zrenner, Vorstandsvorsitzender der SfM.
Das geförderte RD TREAT Programm
Ziel des Programms RD TREAT ist es, wirksame Behandlungen für bislang unheilbare erbliche Netzhautdystrophien zu entwickeln. Im Zentrum des Ansatzes steht der Sehverlust durch Störungen im sogenannten Transduktionszyklus der Lichtrezeptoren in der Netzhaut. Das Programm umfasst drei sich ergänzende Projekte: einen Gen-Ersatz für die Behandlung bestimmter Formen von Retinitis Pigmentosa sowie zwei mutationsunabhängige pharmakologische neuroprotektive Strategien, die die Erkrankung aufhalten. Retinitis Pigmentosa wird durch vererbte genetische Mutationen verursacht. Diese Mutationen können dazu führen, dass die Lichtrezeptoren in der Netzhaut nicht mehr richtig funktionieren und im Laufe der Zeit absterben. Da es sich um eine genetisch bedingte Krankheit handelt, kann sie familiär gehäuft auftreten.
Eine Premiere, die nur am Tübinger Department für Augenheilkunde möglich war
Das Tübinger Department für Augenheilkunde, in dem eine Augenklinik mit mehr als 400 Beschäftigten und ein Forschungsinstitut mit mehr als 160 Mitarbeitenden eine hochaktive Einheit bilden, hat sich mit der Einwerbung des Neubaus 2011 zu einem integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum für Augenheilkunde entwickelt. RD TREAT zeigt, dass die enge Verbindung von wissenschaftlicher Innovation und klinischer Versorgung besondere Chancen für neue Behandlungsmöglichkeiten bietet. „Die Medizinische Fakultät der Universität Tübingen“, so ihr Forschungsdekan Prof. Thomas Gasser, „verfolgt das RD TREAT Programm mit gespannter Erwartung und ist sehr zuversichtlich, dass es dem Team um Marius Ueffing gelingen wird, wirksame Therapien für Patienten mit Netzhauterkrankungen in die klinische Anwendung zu bringen.“
Wegweisendes Modell für personalisierte Diagnostik und Therapie
Die in RD TREAT mögliche Entwicklung maßgeschneiderter molekularer Therapien für erbliche Netzhauterkrankungen kann sich als wegweisend erweisen für die Entwicklung neuer Therapiemodalitäten in anderen Erkrankungsfeldern. Das RD TREAT Programm ist eingebettet in das Gen- und RNA Therapiezentrum der Tübinger Medizinischen Fakultät. Hier besteht die Möglichkeit, über die Augenheilkunde hinaus Erfahrungen und Knowhow zu transferieren und dadurch zur Entwicklung molekularer Therapie in anderen Erkrankungsfeldern beizutragen.