Neues Baden-Württembergisches Netzwerk zur Verringerung von Tierversuchen
Mit dem Ziel, die Zahl von Tierversuchen zu reduzieren und den Tierschutz weiter zu verbessern, entsteht in Baden-Württemberg ein neues Netzwerk: Es bündelt neue Ansätze und Maßnahmen an den biomedizinischen Forschungsstandorten des Landes, die nach dem 3R-Prinzip Replacement (Vermeidung), Reduction (Verringerung), Refinement (Verbesserung) die Belastungen für die Versuchstiere begrenzen und die Anzahl der eingesetzten Tiere immer weiter senken sollen.
Mit drei Projekten in dieses 3R-Netzwerk BW eingebunden sind auch die Universität Heidelberg und die Medizinischen Fakultäten Heidelberg und Mannheim sowie das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Mit knapp 3,8 Millionen Euro finanziert das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg rund 70 Prozent der Kosten aller ausgewählten Vorhaben, jeweils 30 Prozent steuern die Hochschulen als Eigenbeitrag bei. Rund 1,3 Millionen Euro fließen nach Heidelberg und Mannheim. Das Grundgerüst des Netzwerks bilden fünf Zentren, zu denen das 3R-Zentrum Rhein-Neckar und das Interdisziplinäre Zentrum zur Erforschung von Darmgesundheit in Heidelberg gehören.
Eine wichtige Aufgabe des in Heidelberg und Mannheim angesiedelten 3R-Zentrums Rhein-Neckar wird es sein, Tierversuche in der Region künftig noch besser zu koordinieren. Eine Datenbank soll helfen, den gemeinsamen Austausch der Labore zu erleichtern. Darüber hinaus wird das Zentrum eine feste Anlaufstelle sein, wenn es um das Design neuer Experimente geht. Es wird Forscherinnen und Forscher bei der Auswahl sinnvoller Tiermodelle unterstützen sowie Trainings zu den 3R-Prinzipien und spezielle Seminare zum Tierschutz anbieten. Auch der freie Zugang zu Forschungsergebnissen auf der Basis der Open-Science-Grundsätze soll gefördert werden. Um Tierversuche weiter zu reduzieren, unterstützt das 3R-Zentrum Rhein-Neckar Forschungsprojekte, die Daten mithilfe alternativer Ansätze gewinnen. Dazu zählen Labortests an Zellsystemen und Organoiden, Versuche mithilfe von Computermodellen und Computersimulationen sowie Big-Data-Ansätze zur Auswertung großer Datenmengen. Verantwortlich für das Zentrum sind Prof. Dr. Rainer Spanagel und Dr. Marcus Meinhardt vom Institut für Psychopharmakologie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, Privatdozentin Dr. Sabine Chourbaji von der Interfakultären Biomedizinischen Forschungseinrichtung der Universität Heidelberg und Dr. Bettina Kränzlin von der Core Facility Präklinische Modelle der Medizinischen Fakultät Mannheim. Das Ministerium stellt eine Fördersumme von 500.000 Euro für einen Förderzeitraum bis November 2025 zur Verfügung.
Das Interdisziplinäre Zentrum zur Erforschung von Darmgesundheit (IDZG) entsteht an der Medizinischen Fakultät Heidelberg und wird sich mit der Erforschung von komplexen Darmerkrankungen befassen. Eine zentrale Rolle in der Regulation der Darmfunktion spielt das enterische Nervensystem. Um Funktionsstörungen des Darmnervensystems personalisiert zu untersuchen, sollen sowohl patientenbezogene als auch molekulare Daten sowie korrespondierende individuelle Zellmodelle analysiert werden. Diese dem enterischen Nervensystem ähnlichen In-vitro-Modelle werden in der Petrischale generiert. Langfristiges Ziel ist es, auch Darmepithel-, Immun- und Nervenzellen in solche patientenspezifischen dreidimensionalen Zellmodelle einzubeziehen. Mit diesen sogenannten Organoiden können Organfunktionen nachgeahmt werden – ein Ansatz, der auch für 3R-Aktivitäten zur Verringerung und Vermeidung von Tierversuchen von Bedeutung ist, wie die Leiterin des IDZG, Prof. Dr. Beate Niesler vom Institut für Humangenetik, erläutert. Das Interdisziplinäre Zentrum wird bis Mai 2026 mit rund 500.000 Euro vom Ministerium unterstützt.
Bei der Forschung zu bösartigen Erkrankungen des Kopf-Hals-Bereichs künftig auf den Einsatz von sogenannten Xenograft-Modellen verzichten zu können, ist das Ziel eines Projektes, dem sich Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät Mannheim widmen. Versuchstiere, in die patienteneigenes Tumormaterial transplantiert wurde, dienen sowohl der Erforschung der Tumorbiologie als auch der präklinischen Forschung, etwa um die Wirksamkeit von Arzneimitteln für den einzelnen Patienten vorhersagen zu können. Die Forscherinnen und Forscher hoffen, künftig diese Versuche an Tieren durch dreidimensionale Zellkulturen, sogenannte Sphäroide, ersetzen zu können. In dem Projekt „Charakterisierung und Weiterentwicklung heterotypischer 3D-Sphäroide aus Kopf-Hals-Plattenepithelkarzinomen“ arbeiten Wissenschaftler aus der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde unter der Leitung von Prof. Dr. Nicole Rotter und dem Institut für Transfusionsmedizin und Immunologie um Prof. Dr. Karen Bieback zusammen, um eine stabile und reproduzierbare Testplattform zu etablieren. Die Forschungsarbeiten fördert das Ministerium bis Dezember 2023 mit rund 300.000 Euro.