Bauchspeicheldrüsenkrebs gehört zu den tödlichsten Krebsarten überhaupt. Eine spezielle Form ist das sogenannte Duktale Adenokarzinom des Pankreas, bei dem das Drüsengewebe selbst betroffen ist. „Wie sich solche Karzinome entwickeln, warum sie so unterschiedlich sind, und was überhaupt die Krebsbildung auslöst, ist noch weitgehend unerforscht“, sagt der Ulmer Pankreasforscher Professor Alexander Kleger. Der Mediziner ist Direktor des Instituts für Molekulare Onkologie und Stammzellbiologie (IMOS) und leitet außerdem die Sektion für Interdisziplinäre Pankreatologie an der Klinik für Innere Medizin I. Kleger und sein Team haben in seinem Institut Pankreasorganoide auf der Grundlage humaner pluripotenter Stammzellen entwickelt, mit deren Hilfe er die pathophysiologischen Zusammenhänge der frühen Krebsentstehung klären möchte. Er wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft über das Reinhart Koselleck-Programm mit 1,25 Millionen Euro unterstützt, der höchsten Summe dieser hochkompetitiven Förderlinie.
„Bei diesem Forschungsvorhaben steht nicht das Spät- oder Endstadium der Krebserkrankung im Vordergrund, sondern es geht darum, Vorläuferstadien aufzudecken und frühe Ereignisse zu identifizieren, die eine Rolle als Krebsauslöser spielen“, erklärt Kleger. Genauer gesagt soll in dem Projekt aufgeklärt werden, wie sich frühe Ereignisse zusammen mit genetischen, epigenetischen und umweltbedingten Faktoren auf die Tumorentstehung und -entwicklung auswirken. Welche Rolle spielen der Ursprungszelltyp oder bestimmte genetische Mutationen? Welchen Einfluss haben die Zellen der Mikroumgebung auf die Krebsentwicklung? Wie tragen Umweltfaktoren oder eine bestimmte Lebensweise zur Entstehung von Bauchspeicheldrüsenkrebs bei? Dazu gehören beispielsweise Faktoren wie Alkohol, Nikotin, Ernährung oder Medikamente.
Gesucht wird nach Biomarkern, die Hinweise geben auf Vorläuferstadien
Das übergeordnete Ziel des FIRE-Projektes – die Abkürzung steht für „Fighting pancreatic cancer by origin and niche” – ist die Entwicklung neuer diagnostischer und therapeutischer Strategien bei Bauchspeicheldrüsenkrebs. Das heißt, einerseits suchen die an dem Projekt beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Biomarkern, die Hinweise auf Vorläuferstadien geben und damit helfen, die Früherkennung zu verbessern. Denn fatalerweise bleiben die Betroffenen oft lange beschwerdefrei, und wenn dann die ersten Symptome zutage treten, ist die Krankheit meist schon sehr weit fortgeschritten. Andererseits erhoffen sich die Forschenden Erkenntnisse zur Vorbeugung und zur Behandlung von Tumoren im bereits fortgeschrittenen Stadium der Krankheit. „Für die Entwicklung personalisierter Therapien brauchen wir präzise Angriffsflächen. Denn jeder Krebs ist anders“, betont der Ulmer Mediziner.
„Es erfüllt uns mit großer Freude, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft dieses Projekt im Rahmen dieses Exzellenz-Förderprogramms unterstützt. Diese Förderung ist nicht nur ein bedeutender Erfolg für Professor Alexander Kleger, der bereits 2023 mit dem Deutschen Krebspreis ausgezeichnet wurde, sondern sie belegt auch die herausragende Stellung des Forschungsstandorts Ulm“, freut sich Professor Thomas Wirth, Dekan der medizinischen Fakultät der Universität Ulm. Das Reinhart Koselleck-Programm dient der Förderung besonders innovativer und im positiven Sinne risikobehafteter Forschung. Es richtet sich an Forschende, die sich in ihrem Feld durch besondere wissenschaftliche Leistungen ausgewiesen haben. Das prestigeträchtige Programm ist nach Reinhart Koselleck benannt, einem der bedeutendsten deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts. Die Förderdauer beträgt fünf Jahre.
Wie können frühe Krebsstadien mit ihrer Umgebung kommunizieren?
Was das Projekt so einzigartig macht, ist die bahnbrechende Methodik: „Die Protokolle zur Entwicklung von Bauchspeicheldrüsenorganoiden wurden an unserem Institut aus humanen pluripotenten Stammzellen über Jahre hinweg entwickelt. Wie ihr natürliches Vorbild bestehen sie aus unterschiedlichen Zelltypen, entweder aus azinären (Drüsen-) oder duktalen (Gang-) Zellen – beides Ursprung von Bauchspeicheldrüsenkrebs. Sie lassen sich genetisch definieren und damit biologisch maßschneidern“, erläutert Kleger. Für deren längere Kultur und Interaktion mit Zellen ihrer Umgebung verwenden die Ulmer Forscher ein Organkulturgerüst auf der Basis von Schweineharnblasen. Um die Wechselwirkung und Kommunikation zwischen Tumor und Umgebung zu untersuchen, kommen neben dem Harnblasenmodell, auch innovative Kokulturen und 3D Biodruck-Techniken zum Einsatz. Die Forschenden wollen so herausfinden, welche Signalübertragungswege gerade in der frühen Phase der Tumorbildung eine Rolle spielen. Eine Blockade solcher Kommunikationswege könnte in Zukunft therapeutisch genutzt werden, um den Tumor besser behandeln zu können.
Das neuartige Kulturmodell aus künstlicher Bauchspeicheldrüse und Tumorumgebung hilft außerdem, Tierversuche zu reduzieren. Die Universität Ulm ist Teil des vom Land Baden-Württemberg geförderten 3R-Netzwerkes. Ziel dieser gemeinsamen Initiative ist es, Tierversuche zu ersetzen (replace), zu reduzieren (reduce) und zu verfeinern (refine).
Die Hauptarbeit des Projektes findet am IMOS statt. Da das Forschungsvorhaben allerdings sehr umfangreich ist, sind auch externe Kooperationspartner eingebunden: dazu gehören Professor Ivan Costa von der Universität Aachen, Professor Roland Rad von der TU München sowie Professor Gabriele Capurso vom Pankreaszentrum in San Raffaele, Mailand. Ein weiterer Kooperationspartner ist Dr. Medhanie Mulaw von der Zentralen Einheit für Einzelzellsequenzierung der Universität Ulm.