Protein mit widersprüchlichen Eigenschaften: Geheimnis gelüftet
Ein Protein mit widersprüchlichen Eigenschaften weckte das Interesse von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für medizinische Forschung: Trotz seiner großen negativen Oberflächenladung hat es eine starke Tendenz, ebenfalls negativ geladene Elektronen aufzunehmen. Das Forscherteam entdeckte positiv geladene Calciumionen im Inneren des Proteins in unmittelbarer Nähe der Elektronen, die deren Ladung entgegenwirken. Darin sehen sie einen natürlichen Mechanismus, mit entgegengesetzten elektrischen Ladungen umzugehen und dem Protein zu ermöglichen, seine biologische Funktion optimal zu erfüllen.
Faszinierende Entdeckung
Energie fließt auf verschiedene Weise durch lebende Zellen. Eine ist es, dass sich Elektronen entlang einer Reihe von Proteinmolekülen wie in einem Stromkabel bewegen und von einem Protein zum nächsten weitergegeben werden. Bei der Untersuchung solcher Proteine fanden Forschende des Max-Planck-Instituts für medizinische Forschung eine ungewöhnliche Version von Cytochrom c.
Cytochrom c ist ein sehr häufig vorkommendes Protein, das Elektronen von einem Protein auf ein anderes überträgt. Das neu entdeckte Protein unterscheidet sich jedoch in zweierlei Hinsicht vom „Standard“-Cytochrom c. Zum einen hat es eine viel höhere Affinität für Elektronen als normales Cytochrom c, zum anderen eine stark negative elektrische Ladung, während Cytochrom c normalerweise eine starke positive Ladung hat. Diese Kombination von Eigenschaften ist überraschend. Eine starke negative Ladung erschwert es einem Protein, Elektronen zu speichern, da diese ebenfalls negativ geladen sind und sich negative Ladungen gegenseitig abstoßen.
Calciumionen spielen Schlüsselrolle
Dieser scheinbare Widerspruch faszinierte Thomas Barends, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung. Er und sein Team machten sich daran, ihn zu untersuchen – mit überraschenden Ergebnissen. Diese wurden nun im Journal of Biological Chemistry veröffentlicht und als „Editor's Pick“ besonders herausgestellt.
„Es war faszinierend, Calciumionen so nah an der Stelle zu entdecken, an der die Elektronen gespeichert sind. Das ist ein sehr vorteilhafter Ort, da die positive Ladung der Calciumionen die negative Ladung der Elektronen ausgleicht. Das war für uns zunächst überraschend, da wir noch nie gesehen hatten, dass Calcium auf diese Weise in einem Protein verwendet wird“, erklärt der Strukturbiologe Thomas Barends. Den Ergebnissen zufolge befindet sich ein Calciumkation – ein positiv geladenes Calciumion – in einem Abstand von weniger als 0,7 Nanometern zu den Eisenatomen, die das Protein zur Speicherung von Elektronen verwendet. Selbst auf der Ebene von Molekülen ist das sehr nah.
Die Schlussfolgerung, die Thomas Barends Team aus dieser Entdeckung zog, lautet: „Diese Anordnung könnte es dem Protein ermöglichen, trotz seiner negativen Oberflächenladung eine hohe Affinität für Elektronen zu haben. Das benötigt es unserer Meinung nach, um sich an ein anderes Protein zu binden, an das es die Elektronen zu einem späteren Zeitpunkt weitergeben kann. Auf diese Weise kann es seine biologische Funktion optimal erfüllen.“
Experimenteller und rechnerischer Nachweis gelungen
Um nachzuweisen, dass die Calciumionen tatsächlich die Ursache für die hohe Affinität des Proteins für Elektronen sind, untersuchte das Team des Max-Planck-Instituts die Proteine mit und ohne Calcium und verglich die Daten – kein leichtes Unterfangen, da Calcium ein sehr häufiges Element ist und die Kontamination der Experimente daher ein ständiges Problem darstellte. Parallel dazu führte eine Gruppe theoretischer Chemiker von der Universität Bayreuth unter der Leitung von Matthias Ullmann Computersimulationen durch, ebenfalls mit und ohne Calcium. Ihre Ergebnisse bestätigten die Interpretation der Daten des Max-Planck-Teams.
Erweitertes Verständnis der Prinzipien hinter Proteinfunktionen
Die neuen Forschungsergebnisse sind ein Beispiel dafür, wie die Natur Widersprüche auflöst – in diesem Fall, indem lokale elektrische Ladungen in einem Protein angepasst werden, sodass dessen Affinität für Elektronen erhöht wird. Diese Entdeckung ist sowohl für das Verständnis des Energieflusses durch Zellen als auch für die Entwicklung neuer künstlicher Proteine für nanotechnologische Anwendungen von Bedeutung.