Viele Bakterienarten nutzen Zucker-bindende Moleküle, sogenannte Lektine, um an Wirtszellen anzuheften und in diese eindringen. Außerdem können Lektine die Immunantwort auf bakterielle Infektionen beeinflussen. Diese Funktionen sind bisher aber kaum erforscht. Ein Team um Prof. Dr. Winfried Römer vom Exzellenzcluster CIBSS – Centre for Integrative Biological Signalling Studies der Universität Freiburg und Prof. Dr. Christopher G. Mueller vom IMBC – Institute of Molecular and Cellular Biology der Universität Straßburg hat in einem Kooperationsprojekt untersucht, welchen Effekt das Lektin LecB von P. aeruginosa auf das Immunsystem hat. Dabei fanden sie heraus, dass isoliertes LecB Immunzellen handlungsunfähig machen kann: Die Zellen sind dann nicht mehr in der Lage, durch den Körper zu wandern und eine Immunantwort auszulösen. Die Gabe eines gegen LecB gerichteten Wirkstoffs verhinderte diesen Effekt und führte dazu, dass sich die Immunzellen wieder ungehindert bewegen konnten.
LecB verbarrikadiert Immunzellen den Weg
Sobald sie eine Infektion wahrnehmen, wandern Zellen des angeborenen Immunsystems zu einem nahegelegenen Lymphknoten, wo sie T- und B-Zellen aktivieren und eine zielgerichtete Immunantwort auslösen. LecB, so das Ergebnis der aktuellen Studie, verhindert diese Migration: „Wir gehen davon aus, dass LecB dabei nicht nur auf die Immunzellen selbst wirkt, sondern auch verstärkt auf die Zellen, die das Innere der Blut- und Lymphgefäße auskleiden“, erklärt Römer. „Wenn LecB an diese Zellen bindet, löst es in ihnen umfassende Veränderungen aus.“ Die Forschenden beobachteten, dass wichtige Strukturmoleküle ins Zellinnere verlagert und abgebaut wurden. Gleichzeitig wurde das Zellskelett starrer. „Die Zellschicht wird dadurch zu einer unpassierbaren Barriere für die Immunzellen“, so Römer.
Ein effektiver Wirkstoff gegen LecB
Lässt sich dieser Effekt verhindern? Die Forschenden testeten dafür einen spezifischen LecB-Inhibitor, der den Zucker-Bausteinen ähnelt, an die LecB sonst bindet. „Durch den Inhibitor ließen sich die Veränderungen in den Zellen verhindern, und eine T-Zell-Aktivierung war wieder möglich,“ fasst Mueller die vielversprechenden Ergebnisse der aktuellen Studie zusammen. Der Inhibitor wurde von Prof. Dr. Alexander Titz entwickelt, der am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland und der Universität des Saarlandes forscht.
Um herauszufinden, wie klinisch relevant die Hemmung des Immunsystems durch LecB für die Ausbreitung einer Infektion mit P. aeruginosa ist, und ob der LecB-Inhibitor Potenzial für eine therapeutische Anwendung hat, sind weitere Studien notwendig. „Die aktuellen Ergebnisse sind ein weiterer Beleg dafür, dass Lektine ein sinnvoller Angriffspunkt für die Entwicklung neuer Therapien sind, insbesondere bei antibiotikaresistenten Erregern wie P. aeruginosa“, so das Fazit der Autor*innen.
Eine Kooperation über den Rhein hinweg
Die Ergebnisse stammen aus einer Kooperation der Universitäten Freiburg und Straßburg. Die beiden Erstautorinnen der Studie promovieren bzw. promovierten jeweils an beiden Universitäten und wurden von der Deutsch-Französischen Hochschule unterstützt. Das Projekt ist damit ein Beispiel für ein erfolgreiches grenzüberschreitendes Forschungsprojekt am Oberrhein.
Über den Exzellenzcluster CIBSS
Der Exzellenzcluster CIBSS – Centre for Integrative Biological Signalling Studies der Universität Freiburg hat das Ziel, ein umfassendes Verständnis von biologischen Signalvorgängen über Skalen hinweg zu gewinnen – von den Wechselwirkungen einzelner Moleküle und Zellen bis hin zu den Prozessen in Organen und ganzen Organismen. Die Forscherinnen und Forscher setzen das gewonnene Wissen ein, um Strategien zu entwickeln, mit denen sich Signale gezielt kontrollieren lassen. Sie erschließen dank dieser Technologien nicht nur neue Erkenntnisse in der Forschung, sondern ermöglichen auch Innovationen in der Medizin und den Pflanzenwissenschaften.
Über das französische Forschungslabor
Das CNRS Labor im Campus der Universität zu Straßburg erforscht die Entwicklung des adaptiven Immunsystems und wie Pathogene einer Immunantwort entgehen. Unter Anderem entwickelt das Labor Zellkulturmodelle, die es erlauben, dieses Zusammenspiel von Infektionsmechanismen und Immunabwehr beim Menschen zu studieren.