Auf den ersten Blick klingen die Ergebnisse paradox: Bei Patienten mit einer bestimmten Form der Herzschwäche sind die molekularen Motoren der Herzmuskelzellen, die sogenannten Myosin-Komplexe, häufig an bestimmten Bereichen chemisch verändert und können dadurch mehr Leistung bringen. Das haben Forschende des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) und des Herz- und Diabeteszentrums Nordrhein-Westfalen (HDZ NRW), Bad Oeynhausen (Ruhr-Universität Bochum) herausgefunden und außerdem entdeckt, welches Enzym dafür verantwortlich ist. Die Arbeitsgruppe um den Heidelberger Kardiologen Professor Dr. Benjamin Meder geht davon aus, dass der neu beschriebene Regulationsmechanismus der Ermüdung des Herzmuskels gegensteuern soll. Er könnte somit einen neuen Ansatzpunkt zur Behandlung von Herzschwäche eröffnen. Die Ergebnisse sind online im Journal Nature Communications erschienen und wurden vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf Forschung e.V. (DZHK) ausgezeichnet.
Myosine sorgen als molekulare Motoren für eine gleichmäßige Kontraktion der Herzmuskelzellen. Indem sie ihre Form verändern, verschieben sie bestimmte Elemente des Zellskeletts, die Aktin-Filamente, gegeneinander: Die Herzmuskelzelle zieht sich zusammen. Chemische Modifikationen dieser Proteine sind für die Herzmuskelzellen ein wichtiger Regelmechanismus, um auf veränderte Belastungen reagieren zu können. So wirken sich sogenannte Phosphorylierungen, das Anbinden zusätzlicher Phosphatgruppen an das Protein, positiv auf die Kontraktionskraft der Zellen aus und sorgen für einen Kraftschub bei stärkerer Belastung.
Modifikationen bei bestimmter Form der Herzschwäche entdeckt
Die Arbeitsgruppe um Prof. Meder und Dr. Marion Müller entwickelte eine spezielle Messmethode, um Phosphorylierungen eines kleinen Proteins des Kontraktionsapparats, der essentiellen leichten Kette des Myosins (ELC), zu detektieren. „Wir waren überrascht, ausgerechnet bei Patienten mit einer sogenannten dilatativen Kardiomyopathie einen erhöhten Anteil an Protein-Phosphorylierungen an der essentiellen leichten Kette des Myosins zu finden“, sagt Erstautorin Dr. Müller, die inzwischen vom UKHD an das Agnes-Wittenborg Institut für translationale Herz- und Kreislaufforschung am HDZ NRW gewechselt ist. Die dilatative Kardiomyopathie ist eine chronische Herzerkrankung, bei der der Herzmuskel quasi ausleiert und kontinuierlich an Pumpkraft verliert. Dr. Müller vermutet: “Die Modifikationen könnten ein Versuch der Herzzellen sein, den zunehmenden Funktionsverlust zu kompensieren.“ Insgesamt identifizierte das Team neun Phosphorylierungsstellen an dem vergleichsweise winzigen ELC-Protein.
Die Wissenschaftler identifizierten zudem den Urheber der Modifikationen und damit einen wichtigen Akteur in diesem Regelmechanismus: Das Enzym „NIMA-assoziierte Kinase 9“ (NEK9) kommt zu einem hohen Anteil im linken Herzmuskel des Menschen vor, bindet an das ELC-Protein und reguliert die Phosphorylierung. Versuche an Zebrafischen bestätigten die Schlüsselrolle von NEK9: Bei genetisch veränderten Tieren, denen ein bestimmter Teil des Enzyms fehlte, blieben die Phosphorylierungen und damit die Anpassung der Herzfunktion aus, sie entwickelten eine Herzschwäche. „Dieser Regulationsmechanismus lädt die Herzmotoren förmlich elektrochemisch auf und könnte möglicherweise für die medikamentöse Therapie bei Herzschwäche genutzt werden, indem man die Herzfunktion über eine Erhöhung der ELC-Phosphorylierung unterstützt“, so Studienleiter Meder, Professor für Präzisionsmedizin an der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie am UKHD.
Die Forschungsarbeit entstand am UKHD im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgesellschaft und des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf Forschung e.V. (DZHK) geförderten Projektes und in enger Zusammenarbeit mit dem HDZ NRW, Bad Oeynhausen. Weitere Kollaborationspartner sind die „Core Facility for Mass Spectrometry & Proteomics“ des Zentrums für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg, die Klinik und Poliklinik für Kardiologie am Universitätsklinikum in Leipzig, sowie das „Genome Technology Center“ der Stanford Universität, USA.