Bei etwa acht Prozent aller Krebsfälle liegen Mutationen in dem Gen vor, das für das Enzym BRAF kodiert. BRAF-Mutationen fördern die unkontrollierte Teilung und Ausbreitung der Krebszellen. Sie werden häufig u. a. in Melanomen, bestimmten Hirntumoren und Schilddrüsenkarzinomen gefunden. Seltener treten sie auch in verbreiteten Krebsarten wie Dickdarmkrebs, nicht-kleinzelligem Lungenkrebs oderBauchspeicheldrüsenkrebs auf.
Die Aktivität von Proteinkinasen, zu denen auch BRAF gehört, kann durch Medikamente aus der Gruppe der Kinase-Inhibitoren unterdrückt werden. Diese Wirkstoffe zielen speziell darauf ab, die häufigste krebstreibende BRAF-Mutation, BRAFV600E, abzuschalten.
Nachdem Krebsgewebe zunehmend auf BRAF-Mutationen getestet werden, entdeckten Forschende, dass neben der bekannten bekannten V600-Mutation ein breites Spektrum weiterer Veränderungen des BRAF-Gens in den Tumorzellen vorkommt. „Bislang ist jedoch wenig darüber bekannt, ob die ursprünglich für BRAFV600E entwickelten Kinase-Inhibitoren auch bei Krebsarten mit anderen BRAF-Mutationen wirksam sind," sagt Tilman Brummer, DKTK Freiburg und Universität Freiburg, der Seniorautor der aktuellen Arbeit, die in enger Zusammenarbeit mit den DKTK-Standorten Dresden, Heidelberg und Tübingen entstanden ist.
Zu diesem Spektrum an Mutationen zählen auch Verluste einiger Aminosäuren in einem für die Funktion von BRAF kritischen Teil des Enzyms. Solche „Deletions-Mutationen" finden sich in vielen Krebsarten, besonders bei bestimmten Formen von Bauchspeicheldrüsenkrebs. „In der molekularbiologischen Standard-Diagnostik werden diese Bereiche von BRAF nicht erfasst, wodurch diese Mutationen bei den fünf bis 10 Prozent von Pankreas-Tumoren ohne KRAS-Mutationen vermutlich übersehen werden. Bei den umfangreichen molekularen Analysen von Tumorbiopsien, wie wir sie im DKTK MASTER-Programm* durchführen, um klinische Entscheidungen auf einer umfassenden molekularen Informationsbasis zu treffen, fallen uns diese Deletions-Mutationen jedoch immer häufiger auf", sagt Stefan Fröhling, geschäftsführender Direktor am NCT Heidelberg und Leiter des DKTK MASTER-Programms.
„Ob BRAF-Deletions-Mutanten durch für BRAFV600E entwickelte Kinase-Inhibitoren wie Dabrafenib blockiert werden können, ist nach wie vor unklar. Strategien gegen diese Mutanten könnten neue zielgerichtete Behandlungsoptionen aufzeigen", sagt Manuel Lauinger von der Universität Freiburg, Erstautor der aktuellen Arbeit, und ergänzt: „Tatsächlich deuten Fallberichte darauf hin, dass das Medikament Dabrafenib, ein Kinase-Inhibitor, der zur Behandlung von durch BRAFV600E-getriebenen Krebsarten entwickelt wurde, auch gegen Tumoren wirkt, die bestimmte Varianten der Deletions-Mutanten tragen."
Ausgelöst durch die Entdeckung von zwei neuen Varianten der BRAF-Deletions-Mutante an den DKTK-Standorten Heidelberg und Tübingen, führte Manuel Lauinger einen detaillierten Vergleich der verschiedenen Deletions-Mutanten in Bezug auf ihre biochemischen und pharmakologischen Eigenschaften durch. Er fand heraus, dass sie sich überraschenderweise trotz ihrer sehr ähnlichen genetischen Veränderung in ihrer Empfindlichkeit gegenüber Dabrafenib deutlich unterscheiden. Darüber hinaus konnte Lauinger ein molekulares Detail identifizieren, das bestimmten Deletions-Mutanten Resistenz gegen Dabrafenib verleiht. Diese Erkenntnisse können neue Ansätze für die Entwicklung zukünftiger Arzneimittel für die Präzisionsonkologie liefern.
Während vor einer Behandlung mit Dabrafenib die genauen molekularen Details der jeweiligen BRAF-Deletions-Mutante beachtet werden müssen, gilt dies offenbar nicht für die so genannte dritte Generation an BRAF-Inhibitoren. Diese Wirkstoffe, die derzeit in klinischen Studien geprüft werden, erwiesen sich als wirksam gegen alle Mitglieder der Gruppe der BRAF-Deletions-Mutanten. Diese Untersuchungen wurde in Krebszelllinien sowie auch in Tumor-Organoiden („Mini-Tumoren"), die aus den Krebszellen individueller Patienten gezüchtet worden waren, durchgeführt.