„Es ist erstaunlich, dass noch niemand daran gedacht hat, medizinisches Silikon für die bakterielle Ansiedlung zu nutzen“, meint Christof Niemeyer, Professor für chemische Biologie am Institut für Biologische Grenzflächen-1 des KIT. Dabei lägen die Vorteile auf der Hand: Das spezielle Polymer, das auch beispielsweise für Brustimplantate verwendet wird, interagiere nicht mit seiner Umwelt, sei dafür leicht modifizierbar, langlebig und kostengünstig. Auch er und sein Team seien nur über Umwege darauf gekommen, die Ergebnisse hätten ihre Erwartungen aber übertroffen, so der Chemiker. „Das Material ist in der Lage, die Mikroorganismen aus der Umgebung aufzunehmen, ganz gleich, wie feucht oder trocken diese ist. Die Voraussetzung dafür: Das Silikon musste zu einer porösen schwammartigen Struktur verarbeitet werden“, erläutert er.
Besonders viele unterschiedliche Bakterien „gefangen“
Im Laufe mehrerer Experimente zeigte sich: Der Silikonschwamm fängt in seinen zahlreichen Löchern ein besonders breites Spektrum an Mikroorganismen ein. Das Team konnte damit etwa in der trockenen Luft einer Hühnerfarm Mitglieder der Actinobacteriota identifizieren. Das Spannende daran: Genau diese Mikroorganismen werden in der Herstellung von Antibiotika gebraucht. Sie können zudem beispielsweise auch Stoffe produzieren, die bei bestimmten Krebserkrankungen helfen könnten. „Wenn wir mit dem Schwamm neue Bakterien einfangen, können die zum Beispiel für neue Impulse in der Biomedizin genutzt werden“, schätzt Niemeyer ein.
Ähnliches passierte nach dem Eintauchen des Silikonschwamms in einem Zuchtbecken für Zander. Im Vergleich zu einem konventionellen Material, das schon auf dem Markt ist, fanden die Forschenden unter anderem sehr viele Bakterien, welche zu der noch wenig erforschten Candidate Phyla Radiation gehören. „Diese Mikroorganismen machen etwa 70 Prozent der mikrobiellen dunklen Materie aus, da sie bislang nicht kultivierbar sind“ erläutert Professorin Anne-Kristin Kaster, die mit ihrem Team am Institut für Biologische Grenzflächen-5 des KIT die eingefangenen Mikroorganismen mit modernster Sequenziertechnik analysierte.
Silikonschwamm mit Tafelsalz hergestellt
Das Team bewies auch, dass der Schwamm ausgewählte Bakterien anreichern kann, wenn er entsprechend präpariert wird. Beispielsweise wurden Mikroorganismen, die Glyphosat verarbeiten, mit diesem Pestizid in den Schwamm „geködert“. Auch beim Kontakt mit Bodenproben wurde das poröse Material von Mikroben in wenigen Tagen kolonisiert.
Um das medizinische Silikon für Mikroorganismen bewohnbar zu machen, mussten die Forschenden das Material neu verarbeiten. Das Team mischte dem Polymer Tafelsalz bei, das dann wieder aufgelöst wurde. So entstanden kleine Löcher, verbunden durch feine Gänge: die gewünschte schwammartige Struktur. Um diese für die Anwendungen einsetzen zu können, haben die Forscherinnen und Forscher dann einen „Chip“ geformt. Diese kleine Einheit besteht aus demselben Silikon wie der Schwamm, aber in seiner homogenen, nicht porösen Form.
„Praktisch dabei ist, dass der Silikonchip – als Kombination von Schwamm und Chip – mit Standardmethoden sehr einfach hergestellt werden kann, in nahezu beliebiger Größe und Stückzahl“, so Niemeyer. „Am Ende hat man ein robustes Forschungswerkzeug, das praktisch in jeder Umgebung eingesetzt werden kann. Alles deutet darauf hin, dass dieser Chip sehr gut für die systematische Untersuchung von mikrobieller Dunkler Materie geeignet ist und auch interessante Möglichkeiten für die Kultivierung von bisher nicht kultivierbaren Mikroorganismen eröffnet.“
Die Hauptautorinnen und -autoren haben den Silikonchip zum Patent angemeldet.