Bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten entstehen zahlreiche Daten und Erkenntnisse, beispielsweise in Form von klinischen Studien, Krankenakten oder -bildern. Diese werden bislang jedoch nicht systematisch genutzt. Technologien Künstlicher Intelligenz (KI) können in Zukunft dabei helfen, große Datenmengen zu analysieren und daraus Muster abzuleiten. Dadurch lassen sich Krankheits- und Therapieverläufe individuell vorhersagen und die Behandlung der Menschen verbessern. Auch in Baden-Württemberg soll KI in Zukunft eine stärkere Rolle in der Gesundheitsversorgung spielen. Das Landeskabinett hat deshalb am 5. April 2022 den Aufbau eines Reallabors „KI im Gesundheitswesen“ beschlossen. Von dort sollen Initiativen aus der Theorie in den Alltag gebracht werden.
„Baden-Württemberg verfügt sowohl über starke Cluster in den Bereichen Medizintechnik, Biotechnologie, Pharma- und Informationstechnologie als auch über eine innovative Hochschulmedizin und leistungsstarke außeruniversitäre Forschungsinstitute“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Anschluss an die Sitzung des Ministerrats. „Das hier vorhandene Wissen und die zur Verfügung stehenden Gesundheitsdaten müssen wir künftig noch zielgerichteter nutzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben und den Gesundheitsstandort Baden-Württemberg attraktiver und krisenfester zu machen.“ Im Forum Gesundheitsstandort vernetze die Landesregierung bereits zahlreiche Akteure aus Gesundheitsversorgung, -forschung und -wirtschaft. Eine Roadmap Gesundheitsdatennutzung sei auf den Weg gebracht, um die digitale Nutzung von Gesundheitsdaten zu verbessern. Das heute beschlossene Reallabor zum Einsatz Künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen sei ein weiterer wichtiger Baustein, um die Gesundheitsdaten künftig besser zu nutzen, digitale Gesundheitskompetenz der Bürger und Anwender zu fördern und Spitzentechnologie alltagstauglich zu machen.
Reallabor als Plattform zur interdisziplinären und sektorenübergreifenden Lösungsfindung
Für das Reallabor „KI im Gesundheitswesen“ stehen künftig 2,35 Millionen Euro aus der Rücklage „Zukunftsland BW – Stärker aus der Krise“ zur Verfügung, betonte Sozialminister Manne Lucha: „Künstliche Intelligenz wird die medizinische und pflegerische Versorgung im Land revolutionieren, beispielsweise durch eine verbesserte Diagnostik bei bildgebenden Verfahren oder als Grundlage für eine personalisierte und datenbasierte Versorgung. Bisher ist Künstliche Intelligenz häufig ein reines Forschungsthema, ohne dass Patientinnen und Patienten davon konkret profitieren. Das muss sich ändern.“ Seit dem letzten Jahr fördere das Sozialministerium beispielsweise ein Projekt des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg. Dort werden Anwendungen entwickelt, die mithilfe Künstlicher Intelligenz frühzeitig einschätzen können sollen, ob Veränderungen der Haut, der Brust oder der Prostata bösartig werden könnten. Damit würde eine deutlich verbesserte Therapiesteuerung möglich werden.
Reallabore als Testräume für Innovation und Regulierung sollen es künftig verstärkt möglich machen, unter realen Bedingungen neue Technologien, Produkte, Dienstleistungen oder Ansätze zu erproben. Sie bieten die Möglichkeit, Gesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zusammenzubringen. In einem Reallabor zu „KI im Gesundheitswesen“ kann beispielsweise interdisziplinär und sektorenübergreifend zusammengearbeitet werden, um Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen und in der Langzeitpflege zu erproben und den Rechtsrahmen innovationsfreundlich und unter Berücksichtigung europäischer Datenschutzstandards weiterzuentwickeln. Betrachtet werden hierbei unter anderem Themen wie die Ethik bei der Nutzung von Daten sowie die Zertifizierung von KI-Anwendungen als Medizinprodukt. Die konkreten Ziele des Reallabors sind eine Verbesserung von KI-Kompetenz und -akzeptanz oder der Transfer von bestehenden KI-Anwendungen in die Regelversorgung.
Roadmap soll digitale Nutzung von Gesundheitsdaten verbessern
Insbesondere öffentliche Forschungseinrichtungen sowie kleine und mittlere Unternehmen haben beim Thema Künstliche Intelligenz mit Barrieren zu kämpfen und scheitern häufig daran, ihre Forschung zur Marktreife zu bringen. Die Gründe liegen unter anderem in komplexen organisatorischen, finanziellen oder gesetzlichen Rahmenbedingungen, die einer hohen Innovationsgeschwindigkeit entgegenstehen, betonte Lucha. Bei Patientinnen und Patienten beziehungsweise Anwendern bestehe nach wie vor ein hoher Aufklärungsbedarf, der einem Einsatz KI-gestützter Medizinprodukte in der Versorgung entgegenstehe. Und auch die Verfügbarkeit von qualitativ hochwertigen Daten, die für die Entwicklung von KI-Anwendungen notwendig sei, werde vielfach als problematisch eingeschätzt, so der Gesundheitsminister.
„Der Zugang zu qualitativ hochwertigen Gesundheitsdaten wird zunehmend zum entscheidenden Standortfaktor“, betonte der Ministerpräsident. „Gesundheitsdaten sind besonders sensible Daten, die einen besonderen Schutz erfordern.“ Daher habe sich die Landesregierung mit dem Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt, einen Datenraum Gesundheit zu entwickeln, bei dem Datenschutz, Datensicherheit und attraktive Bedingungen für die Nutzung von Daten im Vordergrund stehen. Mit der Roadmap Gesundheitsdatennutzung Baden-Württemberg des Forums Gesundheitsstandort treiben die beteiligten Ressorts diese Ziele voran.
Die Roadmap Gesundheitsdaten BW definiert in fünf Schwerpunkten Maßnahmen, um die rechtlichen, technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die zielgerichtete digitale Nutzung von Gesundheitsdaten zu verbessern:
- Die Harmonisierung der datenschutzrechtlichen Regelungen
- Die Standardisierung von Gesundheitsdaten und der Zugang zu Daten
- Der Zugang der Privatwirtschaft zu relevanten Kooperationen und Daten
- Die digitale Gesundheitskompetenz in Aus-, Fort- und Weiterbildung in den Gesundheitsberufen
- Die digitale Gesundheitskompetenz der Bürgerinnen und Bürger
Der Gesamtprozess der Umsetzung der Roadmap wird von der unter Leitung des Staatsministeriums tagenden Interministeriellen Arbeitsgruppe des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg begleitet.
Forum Gesundheitsstandort vereint mehr als 500 Experten
Auf Initiative von Ministerpräsident Winfried Kretschmann wurde 2018 das Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg gegründet, um eine engere Verbindung und Vernetzung der Bereiche Forschung, Gesundheitsversorgung und -wirtschaft zu erreichen. Das Forum Gesundheitsstandort zielt zudem darauf ab, Baden-Württemberg zum führenden Standort für medizinische Forschung, für die Entwicklung und Herstellung medizinischer Produkte und für eine moderne und innovative Gesundheitsversorgung weiterzuentwickeln. Das Forum vereint aktuell mehr als 500 Expertinnen und Experten aus Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, Forschungsinstituten und Universitäten sowie Biotech-, Pharma- und Medizintechnikfirmen aus Baden-Württemberg. In diesem Zusammenhang hat die Landesregierung in zwei Förderrunden mit insgesamt rund 100 Millionen Euro über 60 Projekte gefördert, die den Gesundheitsstandort in allen Bereichen voranbringen.
Die Landesregierung hat im Jahr 2017 verstärkt damit begonnen, die großen Chancen und Potenziale der Digitalisierung für den Gesundheits- und Pflegebereich zu nutzen. Gemeinsam mit allen betroffenen Akteuren des Gesundheitswesens – einschließlich der Patientenvertretungen – hat das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration die „Strategie zur Verbesserung der medizinischen und pflegerischen Versorgung in Baden-Württemberg durch Nutzung digitaler Technologien“ (kurz: Digitalisierung in Medizin und Pflege) entwickelt.
Im Zuge der Initiative, die in die Landesstrategie digital(at)bw eingebettet ist, konnten inzwischen knapp 50 Projekte mit mehr als 19 Millionen Euro gefördert werden. So fördert das Land Baden-Württemberg den Einsatz Künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen derzeit über mehrere spannende und zukunftsweisende Forschungsprojekte – von der Prostatakrebsfrüherkennung über die Präzisionsonkologie bei Melanom, Brust- und Prostatakrebs bis hin zur individualisierten Behandlung von Demenz.
Baden-Württemberg ist zudem Vorreiter bei der Etablierung von Reallaboren und fördert seit dem Jahr 2015 bereits mehr als 20 Projekte.