Der neue Therapieansatz gegen die lebensbedrohliche Blutvergiftung kommt ohne den Einsatz von Antibiotika aus und setzt stattdessen auf die Anregung der körpereigenen Immunabwehr durch Gabe des Wirkstoffs Acetat. An der Studie, die im Fachmagazin Communications Biology veröffentlicht wurde, waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Exzellenzclusters „Kontrolle von Mikroorganismen zur Bekämpfung von Infektionen“ (CMFI), des Interfakultären Instituts für Mikrobiologie und Infektionsforschung an der Universität Tübingen (IMIT) sowie des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) beteiligt.
Als Folge einer lokalen Infektion kann es zum Eindringen von Bakterien in die Blutbahn kommen, was zu einer lebensbedrohlichen Sepsis (umgangssprachlich Blutvergiftung) und einem septischen Schock mit Organversagen führen kann. Zu den häufigsten Verursachern einer solchen Sepsis gehören Methicillin-resistente Staphylococcus aureus Bakterien (MRSA), welche gegen viele der gängigen Antibiotika Resistenzen gebildet haben.
Das Forschungsteam unter der Leitung von Professor Andreas Peschel und Dr. Dorothee Kretschmer konnte nun zeigen, dass die körpereigene Immunabwehr gegenüber Staphylokokken durch Gabe des Essigsäuresalzes Natrium-Acetat gestärkt wird, sodass der Körper besser mit der schweren Infektion fertig werden kann. In Experimenten mit Mäusen, die über das Trinkwasser oder eine Injektion Acetat erhielten, wurde der Verlauf einer bakteriellen Sepsis deutlich verbessert.
Eine bakterielle Infektion wird von unserem Körper durch weiße Blutkörperchen bekämpft. Die häufigsten weißen Blutkörperchen im Blutkreislauf sind sogenannte neutrophile Granulozyten, die Krankheitserreger erkennen, aufnehmen und zerstören können. Neutrophile besitzen auf ihrer Oberfläche verschiedene Mustererkennungsmoleküle, Rezeptoren, an die bakterienspezifische Komponenten binden und so die Anwesenheit von Bakterien signalisieren. Eine solche Komponente ist Acetat, das von vielen Bakterien gebildet wird, vor allem von Infektionserregern wie Staphylococcus aureus und von Darmbakterien beim Verdauen der Nahrung. Acetat wird vom Rezeptor GPR43 auf den Neutrophilen erkannt.
Acetat als Aktivator
„Wir konnten in unserer Studie zum ersten Mal eingehend untersuchen, welche Auswirkungen die Bindung des Acetats an Neutrophile hat. Es scheint ein Verstärker zu sein, der die Granulozyten sozusagen aufweckt und in Alarmbereitschaft versetzt“, berichtet Dorothee Kretschmer. „Acetat wirkt über die Aktivierung des GPR43-Rezeptors regulatorisch, sodass eine adäquate und zielgerichtete körpereigene Immunantwort auf mehreren Ebenen stattfinden kann.“ Werden Granulozyten bereits vor einer Infektion in Alarmbereitschaft versetzt, können sie effektiver auf die eindringenden Krankheitserreger reagieren. Sie wandern dann schneller aus dem Blut zum Infektionsort, nehmen mehr Bakterien auf und produzieren sogenannte Sauerstoffradikale, die die Bakterien abtöten. Dies führte dazu, dass sich die Bakterien bei einer anschließenden Sepsis durch das Bakterium Staphylococcus aureus weniger gut vermehren und in den Organen verteilen konnten.
In Experimenten belegte das Forschungsteam, dass eine Acetatinjektion oder die Gabe von acetathaltigem Trinkwasser bei Mäusen zu einer verbesserten Immunantwort führt. „Bei einer anschließenden Sepsis durch Infektion mit Staphylokokken konnten die Bakterien schneller und effizienter abgetötet, und so ein tödlicher Verlauf verhindert werden“, sagt Kretschmer. Die Mäuse seien schneller genesen, was unter anderem an einer rascheren Gewichtszunahme zu erkennen gewesen sei. „Interessanterweise konnten wir denselben Effekt beobachten, wenn wir das Acetat erst nach Beginn der Sepsis verabreichten“, berichtet die Erstautorin der Studie Katja Schlatterer vom CMFI. „Dies führte in gleicher Weise zu einer verbesserten Immunantwort und Infektionsabwehr.“ Das Forschungsteam hält es für denkbar, dass Acetat beim Menschen sowohl vorbeugend als auch zur Behandlung einer Sepsis zum Einsatz kommen könnte. Acetat fände bereits Anwendung im klinischen Bereich, zum Beispiel als Säure-Basen-Regulator in Infusionen, die bei Flüssigkeitsverlust gelegt werden. Die Verträglichkeit beim Menschen sei somit bereits erwiesen.