Vererbte Alzheimer-Erkrankung: Blutmarker für defekte Nervenverknüpfungen steigt frühzeitig an
Ulm, Halle/Saale, 16. April 2025. Menschen mit einer erblichen Veranlagung für Alzheimer haben bereits etwa 11 Jahre vor dem erwarteten Ausbruch von Demenzsymptomen auffällige Blutwerte, die auf beschädigte Nervenzellkontakte hinweisen. Maßstab ist die Konzentration des Proteins „Beta-Synuclein“. Das berichtet ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des DZNE, des Universitätsklinikums Ulm sowie der Universitätsmedizin Halle im Fachjournal „Alzheimer‘s & Dementia“. Der hier untersuchte Biomarker könnte möglicherweise helfen, Neurodegeneration frühzeitig zu erkennen und somit einen geeigneten Zeitpunkt für den Beginn von Behandlungsmaßnahmen anzeigen.
Für die Behandlung von Alzheimer, der häufigsten Demenzerkrankung, werden derzeit neue Medikamente verfügbar. Diese „Amyloid-Antikörper“ führen zur Beseitigung winziger Ablagerungen aus dem Gehirn und können den Krankheitsverlauf verzögern. Voraussetzung ist allerdings eine Behandlung im Anfangsstadium der Erkrankung. „Früherkennung wird daher immer wichtiger. Bisher wird Alzheimer jedoch meist erst relativ spät erkannt. Wir brauchen also Fortschritte in der Diagnostik. Ansonsten lassen sich die Möglichkeiten der neuen Wirkstoffe nicht ausschöpfen“, erläutert Privatdozent Dr. Patrick Öckl, Forschungsgruppenleiter am DZNE-Standort Ulm und an der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Ulm. „Daher befassen wir uns schon länger mit dem Beta-Synuclein. Die Konzentration dieses Proteins im Blut spiegelt Nervenschäden wider und lässt sich relativ einfach bestimmen. Wir sehen darin einen potenziellen Biomarker für die Früherkennung von Neurodegeneration. Unsere aktuellen Studienergebnisse stützen diese Einschätzung.“ Das Anwendungspotenzial gehe vermutlich über Alzheimer hinaus, so der Forscher: „Dieser Marker zeigt Nervenschäden an, die zum Beispiel auch infolge eines Schlaganfalls entstehen können. Unabhängig davon belegen unsere Untersuchungen, dass er speziell im Kontext von Alzheimer aussagekräftig ist.“
Fragmente aus den Synapsen
Beta-Synuclein ist ein Eiweißmolekül, das vorwiegend in den Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen vorkommt. Diese sogenannten Synapsen, über die Nervenzellen untereinander Signale austauschen, lösen sich im Zuge einer Alzheimer-Erkrankung allmählich auf: Beta-Synuclein wird infolgedessen freigesetzt, gelangt vom Gehirn in den Blutstrom und lässt sich dann per Bluttest nachweisen. „Unsere Untersuchungen zeigen, dass die Schädigung der Synapsen sehr früh einsetzt. Sie beginnt, bevor kognitive Beeinträchtigungen auftreten“, so Öckl. „Somit ist Beta-Synuclein ein Marker, der präsymptomatisch anschlägt. Konkret heißt das, dass die Konzentration des Proteins im Blut zunimmt.“
Familiäre Alzheimer-Erkrankung
Die Befunde beruhen auf Daten aus DIAN, einem internationalen Forschungsverbund, der sich der genetisch bedingten Form der Alzheimer-Krankheit widmet – verursacht wird sie durch Mutationen im Erbgut. Da diese genetischen Anomalien an die Nachkommen vererbbar sind, häufen sich in den Familien der betroffenen Personen Fälle von Demenz. „Die erbliche Variante von Alzheimer ist sehr selten und kann sich bereits im frühen oder mittleren Erwachsenenalter bemerkbar machen. Pathologisch gesehen ist sie sehr ähnlich der sporadischen Alzheimer-Variante, die weitaus häufiger ist und meist erst im Seniorenalter auftritt“, sagt Prof. Markus Otto, Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Neurologie an der Universitätsmedizin Halle, der an den aktuellen Untersuchungen ebenfalls maßgeblich mitwirkte. Diese Fehler in der Erbinformation führen nach heutigem Kenntnisstand fast zwangsläufig zu einer Demenz. Wann mit Symptomen zu rechnen ist, lässt sich abschätzen. „Für eine Person mit Genmutation kann man die Jahre bis zum Auftreten von Demenzsymptomen recht gut vorhersagen. Die Erfahrung zeigt, dass man sich an dem Alter orientieren kann, zu dem bei älteren Verwandten erstmals kognitive Einschränkungen aufgetreten sind“, erläutert Otto. „Diese Abschätzung liegt für alle Probanden vor, die sich an DIAN beteiligen. Dadurch kann man den Verlauf der Erkrankung zeitlich einordnen.“
Blutmarker korreliert mit Symptomatik
In der aktuellen Studie wurde das Blut von mehr als 100 Erwachsenen mit solchen Genmutationen auf Beta-Synuclein untersucht. Ihr Alter lag zwischen etwa Mitte 30 und Mitte 40. Von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurde die kognitive Leistung getestet: Etwa ein Drittel zeigte Anzeichen von Demenz, die übrigen Probanden hatten keine Symptome. In einigen Fällen konnten die Forschenden auch auf Proben von Nervenwasser und Gehirnscans zurückgreifen, um den Gesundheitszustand zu charakterisieren. Manche Probanden wurden sogar mehrfach untersucht, so dass sich ihre Entwicklung über einige Jahre verfolgen ließ. Letztlich ergaben die unterschiedlichen Daten ein Bild davon, wie sich der Blutspiegel von Beta-Synuclein im Zuge der Alzheimer-Erkrankung veränderte. „Schon etwa 11 Jahre vor dem erwarteten Auftreten erster Demenz-Symptome erkennt man im Blut einen Anstieg der Beta-Synuclein-Konzentration. Es gibt also schon frühzeitig Anzeichen von Synapsen-Degeneration“, sagt Otto. „Verlust an Hirnmasse und andere pathologische Veränderungen, die bei Alzheimer ebenfalls vorkommen, geschehen erst später. Und nach dem Auftreten von Symptomen galt: Je schwerer die kognitive Beeinträchtigung, desto höher der Beta-Synuclein-Gehalt im Blut. Dieser Biomarker reflektiert also krankhafte Veränderungen sowohl im präsymptomatischen als auch im symptomatischen Stadium.“
Perspektiven
Von ähnlichen Effekten geht DZNE-Forscher Öckl auch bei der sporadischen Alzheimer-Form aus: „Angesichts der Gemeinsamkeiten mit der erblichen Variante halte ich das für sehr wahrscheinlich. Aber natürlich muss dies noch in Studien überprüft werden. Wenn sich das bestätigt, könnte dieser Biomarker vielleicht im Zuge einer erweiterten Diagnostik zum Einsatz kommen, um einen Verdacht auf eine Alzheimer-Erkrankung abzuklären.“ Er sieht noch weiteres Potenzial: „Neben der Früherkennung könnte dieser Marker eventuell auch hilfreich sein, um zu beurteilen, ob eine Therapie anschlägt, indem sie den Abbau von Synapsen und somit den Krankheitsprozess verlangsamt.“ Ein solches Kontrollinstrument sei sowohl für die Entwicklung von Therapien im Rahmen von Studien von Bedeutung als auch bei einer Behandlung in der Regelversorgung. „Vermutlich werden wir künftig ein ganzes Spektrum an Biomarkern zur Verfügung haben, um den Status einer Alzheimer-Erkrankung einzuschätzen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Beta-Synuclein in diesem Repertoire eine Rolle spielen wird“, so Öckl