Versteckspiel im Centromer
Centromere sind DNA-Abschnitte, die häufig im Zentrum der Chromosomen zu finden sind. Die Centromere verschiedener Arten weisen eine enorme Vielfalt auf – und das, obwohl sie bei fast allen Organismen dieselbe wichtige Aufgabe bei der Zellteilung übernehmen. Ein internationales Forschungsteam hat nun entdeckt, dass Centromere auch innerhalb einer einzigen Art erstaunlich unterschiedlich sein können. Die in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Studie untersucht auch, welche molekularen Mechanismen für die schnelle Evolution der Centromere verantwortlich sind und welche Rolle sie bei der Entstehung neuer Arten spiele könnten.
In jedem Chromosom gibt es eine besondere DNA-Region, das sich oft in etwa seiner Mitte befindet: das Centromer. Während der Zellteilung sorgt es dafür, dass die neu entstehenden Zellen – von Spermien und Eiern bis hin zu Haut und Neuronen – von jedem Chromosom die richtige Anzahl bekommen. Obwohl ihre Rolle bei fast allen Pflanzen und Tieren die gleiche ist, unterscheiden sich Centromere verschiedener Arten überraschend stark in Größe und Struktur. In der Biologie nennt man diesen Kontrast zwischen extremer Vielfalt und gleichbleibender Funktion das „Centromer-Paradox”.
Erstaunliche Centromer-Vielfalt bei Arabidopsis
Dieser scheinbare Widerspruch hat ein internationales Forschungsteam unter Leitung von Ian Henderson (Universität Cambridge), Detlef Weigel (Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen) und Alexandros Bousios (Universität Sussex) dazu motiviert, die Vielfalt von Centromeren bei Pflanzen und deren Ursprünge zu untersuchen. Die Forschenden zogen zwei gegensätzliche Hypothesen in Betracht: Zum einen könnte die Vielfalt von gemeinsamen Vorfahren an die verschiedenen Arten weitergegeben worden sein. Zum anderen ist es denkbar, dass die Vielfalt erst in jüngerer Zeit entstand, also nach der Ausdifferenzierung der Arten.
Um die alternativen Hypothesen besser abwägen zu können, analysierte das Team etliche Pflanzen der Art Arabidopsis thaliana – eines verbreiteten Unkrauts, das in der Forschung zu einem beliebten Modellorganismus avanciert ist – sowie Material der Schwesterart Arabidopsis lyrata. Zu ihrer Überraschung fanden die Forschenden erhebliche strukturelle Unterschiede in den Centromeren nahverwandter Individuen. „Man könnte sagen, dass sich in unserer Analyse beide Hypothesen als richtig herausgestellt haben“, fasst Weigel zusammen: „Es gibt erhebliche Vielfalt innerhalb einer Art; doch beim Vergleich beider Arten miteinander fallen die Unterschiede noch extremer aus.“
Die dunkle Materie des Genoms erhellen
Die Forschenden wollen in weiterführenden Arbeiten die Mechanismen der schnellen Centromer-Evolution noch besser verstehen und gründlicher untersuchen, wie Unterschiede in Centromeren zur Entstehung neuer Arten beiträgt: „Wir haben Centromer-Vielfalt nur innerhalb einer Art erforscht“, stellt Henderson fest. „In Zukunft wird es wichtig werden, die Vielfalt und Evolution der Centromere über den gesamten Baum des Lebens hinweg zu betrachten.“ Sein Mitarbeiter Robin Burns ergänzt: „Die schnellen Veränderungen der Centromere werfen die Frage auf, wie groß die Unterschiede zwischen zwei Pflanzen-Centromeren sein können, um während der Zellteilung noch toleriert zu werden.“ Die offenen Fragen sind mannigfach, wie Burns‘ Kollege Piotr Wlodzimierz feststellt: „Wir haben die Mechanismen der Entstehung und Evolution von repetitiven Centromer-Elementen noch nicht voll verstanden. Ihre Vielfalt zu erkennen ist nur der erste Schritt auf einer Reise, die die dunkle Materie des Genoms erhellen wird.“
Weitere wichtige Mitwirkende an der Studie waren unter anderem die Gruppen von Polina Novikova (Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung, Köln, Deutschland), Martin Lysak (CEITEC, Tschechien), Magnus Nordborg (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien, Österreich), Fabrice Roux (CNRS, Toulouse, Frankreich) sowie Carlos Alonso-Blanco (Centro Nacional de Biotecnología, CSIC, Madrid, Spanien).
Die Studie wurde finanziert von: ERC, UKRI, HFSP, EMBO, Max-Planck-Gesellschaft, Royal Society (UK), Czech Science Foundation (Tschechien), Ministerio de Ciencia e Innovación (Spain).