Darmtumoren sind die zweithäufigste krebsbedingte Todesursache. Wenn eine Darmkrebserkrankung nach einer Therapie weiter fortschreitet, liegt das häufig daran, dass der Tumor gegen die Behandlung resistent, also unempfindlich, geworden ist. Welche biologischen Prozesse zur Resistenzentwicklung führen, ist bislang nicht vollständig geklärt. Wissenschaftler vermuten unter anderem zwei Mechanismen dahinter: die Anpassungsfähigkeit (Plastizität) des Tumors sowie seine Fähigkeit, bestimmte Krebszellen so umzuprogrammieren, dass sie Stammzellfähigkeiten gewinnen und das Tumorwachstum weiter antreiben können.
Organoide sind dreidimensionale, aus Stammzellen entwickelte Zellstrukturen. Sie können direkt aus dem Tumormaterial von Patienten gezüchtet werden („patient-derived organoids") und stellen ein vielversprechendes neues Werkzeug dar, um Fragestellungen der Krebsmedizin zu erforschen.
Ein Team aus experimentell und klinisch arbeitenden Ärzten und Wissenschaftlern vom DKFZ und von der Medizinischen Fakultät Mannheim hat nun gemeinsam Organoide aus Gewebeproben von Patienten mit Krebserkrankungen des Darms gewonnen und systematisch analysiert. Als Miniaturausgaben des Organs bzw. der Tumorerkrankung, aus der sie stammen, bilden sie deren genetische Merkmale und äußere Gestalt (Morphologie) sehr gut nach. Die Minitumoren können beispielsweise für die Medikamentenforschung eingesetzt werden, um das individuelle Ansprechen der Krebserkrankung auf bestimmte Wirkstoffe zu untersuchen.
Das Forscherteam arbeitet im DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim zusammen. Im Rahmen der von der Hector-Stiftung II geförderten Arbeit entwickelte es Organoide von elf Darmkrebspatienten, um die Wirkung von 500 verschiedenen Medikamenten auf die Minitumoren zu untersuchen. Im Hochdurchsatzverfahren erstellten die Forscher mikroskopische Aufnahmen von mehr als fünf Millionen Organoiden unter dem Einfluss des jeweiligen Medikaments und kartierten die Bilder systematisch.
Dabei zeigte sich, dass sich die erwarteten Veränderungen hauptsächlich in der Größe, Lebensfähigkeit sowie in der Organoid-Architektur bzw. deren Plastizität äußerten. „Wir konnten durch Hochdurchsatz-Bildgebung morphologische Variationsmuster ausfindig machen", sagt Michael Boutros vom DKFZ und von der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg. „So lassen beispielsweise Form-Merkmale der Organoide Rückschlüsse auf Signalkaskaden und deren Veränderungen zu."
Um die biologischen Prozesse zu charakterisieren, die hinter diesen Variationen stecken, kombinierten die Wissenschaftler das mikroskopische Profiling mit genetischen Analysen und werteten sie mithilfe statistischer Modellrechnungen aus. „Dieser kombinierte Ansatz hat uns geholfen zu beurteilen, ob eine Veränderung tatsächlich durch einen bestimmten Wirkstoff ausgelöst wurde und welche molekularen Mechanismen, etwa auf der Ebene der Genexpression, dahinterstecken könnten", sagt Johannes Betge vom DKFZ und von der Medizinischen Fakultät Mannheim, der eine Nachwuchsgruppe am DKFZ-Hector Krebsinstitut leitet.
Mit dieser Kombinationstechnik konnte das Team Variationen in der Organoidgröße und der Organoid-Plastizität den Aktivitätsänderungen bestimmter Gene bzw. Krebssignalwege zuordnen. Außerdem gelang es den Forscherinnen und Forschern, die morphologischen Änderungen gezielt mithilfe passender pharmakologischer Wirkstoffe zu beeinflussen. „Unsere kombinierte Technik hilft uns, biologische Prozesse, die hinter der Tumorbildung und der individuellen Reaktion auf bestimmte Medikamente stecken, besser zu verstehen", erklärt Matthias Ebert von der Universitätsmedizin Mannheim. „Gleichzeitig eröffnet das Verfahren Möglichkeiten, nach neuen Ansätzen für medikamentöse Therapien gegen Darmkrebs aber auch gegen andere Erkrankungen zu suchen."