Mycobacterium tuberculosis, der Erreger der Tuberkulose, verursacht weltweit jährlich geschätzte 1,6 Millionen Todesfälle. Der Ausgang einer Infektion reicht von Abwehr ohne jedwede Erkrankung bis hin zu chronischer Infektion mit Auszehrung und Tod. Diese große Variabilität ist wesentlich von der Immunabwehr des infizierten Wirts abhängig. Die Analyse des Erreger-Wirt Wechselspiels ist zentrales Forschungsthema der Abteilung Medizinische Mikrobiologie und Hygiene im Zentrum für Infektiologie im Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) und an der Medizinischen Fakultät Heidelberg (MFHD).
Lange bekannt ist, dass Mycobacterium tuberculosis den Cordfaktor ausbildet, der für die krankmachenden Eigenschaften des Erregers, seine Virulenz, wichtig ist, und der außerdem zu einem besonderen Wachstumsverhalten führt: Mycobacterium tuberculosis kann dichtgepackte Stränge aus vielen Bakterien produzieren, die sich lichtmikroskopisch beobachten lassen. Wie diese Stränge zu den krankmachenden Eigenschaften von Mycobacterium tuberculosis beitragen, war bislang im Wesentlichen unverstanden.
Lebendzellmikroskopie und „lung-on-chip“
Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen um Dr. Vivek Thacker, bis vor kurzem tätig an der EPFL in Lausanne und nun Gruppenleiter im Zentrum für Infektiologie des Universitätsklinikums Heidelberg, haben in der aktuellen Arbeit erstmals einen Zusammenhang zwischen diesem“ mechanischen“ Wachstumsverhalten und der Infektionsbiologie von Mycobacterium tuberculosis hergestellt. In einem interdisziplinären Forschungsansatz nutzten sie Lebendzellmikroskopie und synthetische Organmodelle („lung-on-chip“).
Bakterienstränge schnüren Zellkern ein
„Wir konnten zeigen, dass die Kompression von Bakterien zur Speicherung von Energie über den Cordfaktor in der Membran des Erregers führt“, berichtet Thacker. „Dadurch können Erreger, die von Fresszellen in der Lunge aufgenommen wurden und eigentlich vernichtet werden sollten, auch innerhalb dieser Abwehrzellen strangförmig wachsen.“ Das Team um Dr. Vivek Thacker beobachtete, dass dieses Wachstum den Zellkern der Wirtszelle einschnürt und stranguliert. Dadurch kann die Zelle weniger Abwehr- und Botenstoffe bilden und deshalb den Erreger nicht eindämmen. Weiterhin führt das strangförmige Wachstumsverhalten außerhalb von Zellen dazu, dass sich der Erreger zwischen den Epithelzellen, welche die Lungenbläschen auskleiden, und in andere Organe des Körpers ausbreiten kann. Schließlich konnte das Forscherteam beobachten, dass Bakterien in solchen Strängen unempfindlich gegen die Wirkung von Antibiotika werden und nach Beendigung einer Antibiotikatherapie erneut wachsen können.
Neues Forschungsfeld „Mechanopathologie“
„Es ist uns gelungen, mechanisches Wachstumsverhalten auf zellulärer Ebene mit biologischen Funktionen zu verknüpfen“, sagt Dr. Vivek Thacker. „Diese Mechanopathologie ist ein neues, vielversprechendes Forschungsfeld.“ Einige Aspekte dieses mechanischen Wachstumsverhaltens erinnern an Biofilme, die andere wichtige Erreger von Infektionskrankheiten, z. B. Staphylokokken und Pseudomonaden, ausbilden und die ebenso zur Unempfindlichkeit gegen Antibiotika und Hemmung der Wirtsabwehr beitragen. Die Verknüpfung von physikalischem Wachstumsverhalten und Infektionsbiologie ist damit ein höchst interessantes Forschungsgebiet, welches neue Erkenntnisse für die Entwicklung von dringend benötigten Therapien schaffen könnte.
„Ich bin froh, dass wir mit Dr. Vivek Thacker einen exzellenten Wissenschaftler für die Arbeit hier in Heidelberg gewinnen konnten“ sagt Professor Dr. Alexander Dalpke, der Ärztliche Direktor der Abteilung Medizinische Mikrobiologie und Hygiene. Dr. Vivek Thacker ergänzt die Forschungsschwerpunkte des Instituts und des Zentrums für Infektiologie in idealer Weise. Insbesondere schlägt er, ganz im Geiste der Ruperto Carola, Brücken zu benachbarten Forschungsgebieten, z. B. der neuen Fakultät für Ingenieurwissenschaften. Seine anspruchsvollen Arbeiten mit der Lebendzellmikroskopie und synthetischen Organmodellen sind zukunftsweisend und stärken die Infektionsmedizin in Heidelberg.“