Wie Blutkrebszellen sich selbst erneuern
Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des Universitätsklinikums Heidelberg, des Deutschen Krebsforschungszentrums und der HI-STEM gGmbH haben einen neuen Mechanismus zur Selbsterneuerung von Leukämie-Stammzellen gefunden. Studienergebnisse helfen, den aggressiven Verlauf bei akuter myeloischer Leukämie besser zu verstehen.
Nahezu alle Gewebe unseres Körpers enthalten Stammzellen, die sich unbegrenzt teilen können und darüber hinaus in der Lage sind, eine große Anzahl verschiedener ausgereifter Zelltypen zu bilden. Auch manche Krebszellen haben diese Fähigkeit und machen Tumoren besonders aggressiv und widerstandsfähig gegenüber Therapien. Insbesondere bei Blutkrebs sind solche Leukämiestammzellen beschrieben. Welche molekularen Mechanismen diese Tumorstammzellen ausmachen, erforscht ein Forscherteam des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD), des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und des Stammzellinstitut HI-STEM bei der akuten myeloischen Leukämie (AML). In der Fachzeitschrift „Cancer Discovery“ beschreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen völlig neuen molekularen Mechanismus, der normale Leukämiezellen zu den besonders gefährlichen Leukämiestammzellen macht.
AML ist eine besonders aggressive Krebserkrankung des blutbildenden Systems: Etwa 50 Prozent der Betroffenen erleiden nach der Therapie einen Rückfall, der auf überlebende Leukämie-Stammzellen zurückzuführen ist.
RNA-Methylierung steuert Mechanismus zur Selbsterneuerung und macht Krebszellen aggressiv
Das Heidelberger Team konzentrierte seine Arbeiten auf die Molekülgruppe der sogenannten ribosomalen Ribonukleinsäuren (rRNA). Die rRNA bildet zusammen mit weiteren Komponenten die „Eiweißfabriken“ der Zellen, die Ribosomen. Hier werden alle für die Zellfunktion benötigten Proteine aus ihren Bestandteilen zusammengesetzt. Frühere Forschungsarbeiten im Team von Professor Müller-Tidow hatten die Vermutung nahegelegt, dass bestimmte chemische Modifikationen (Methylierungen) an der rRNA die Krebsentwicklung beeinflussen können.
Für ihre Experimente transplantierten die Forschenden menschliche AML-Zellen, die ein Schlüsselprotein für diesen Methylierungsprozess bilden können, in Mäuse. Auf diese Weise ließ sich die Methylierung der rRNA in den Krebszellen der Tiere funktionell untersuchen. Die Forscher zeigten, dass AML-Stammzellen hochspezifische und dynamisch regulierte Methylierungsmuster an den rRNA-Molekülen tragen. Diese Methylmarkierungen beeinflussen, welche Proteine die Leukämie-Stammzellen vorrangig bilden. Auch die Fähigkeit zur Selbsterneuerung – das wichtigste Merkmal einer Krebsstammzelle – wird über diesen Mechanismus stimuliert.
„Unsere Arbeiten erlauben völlig neue Einblicke in die bisher noch kaum verstandenen molekularen Mechanismen, die Leukämie-Stammzellen so gefährlich machen“, erklärt Professor Dr. Andreas Trumpp, Leiter der Abteilung „Stammzellen und Krebs“ am DKFZ und Direktor von HI-STEM. Professor Dr. Carsten Müller-Tidow, Ärztlicher Direktor der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Rheumatologie am UKHD, berichtet: „Seit langem bereits kennen wir Methylierungen des Erbguts als wichtigen Steuermechanismus, der die Aggressivität von Tumorzellen reguliert. Wir konnten nun erstmals zeigen, dass auch die Methylierung von rRNA-Molekülen der Krebszellen erheblichen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung hat. Wir hoffen, dass wir auf Basis unserer Ergebnisse zukünftig neue Therapieansätze entwickeln können, die auch die ansonsten resistenten Leukämiestammzellen vernichten und damit die Leukämie endgültig besiegen“.
Das Heidelberger Institut für Stammzellforschung und experimentelle Medizin (HI-STEM) gGmbH wurde 2008 als Public-Private-Partnership vom DKFZ und der Dietmar Hopp Stiftung gegründet.