Wie Entwicklungssignale zur genetischen Mosaikbildung beitragen können
Bestimmte Entwicklungssignale formen nicht nur den menschlichen Embryo, sondern spielen auch eine entscheidende Rolle bei der Erhaltung unserer genetischen Baupläne. Sie verhindern, dass es zu Veränderungen des Genoms – der Mosaikbildung – kommt. Das hat ein internationales Forschungsteam unter Leitung von Wissenschaftlern des Centre for Organismal Studies der Universität Heidelberg in Untersuchungen mit Stammzellen herausgefunden. Der zugrundeliegende biologische Mechanismus hilft, dass sich die DNA bei der Zellteilung nach dem ursprünglichen genetischen Bauplan in identischer Kopie vervielfältigt. Bei der Bildung von Nervenzellen kann er aber auch zum genomischen Mosaizismus beitragen, so die Erkenntnisse der Wissenschaftler, die Zehntausende von Stammzellteilungen analysiert haben.
Der menschliche Körper besteht aus Billionen von Zellen, die alle den gleichen genetischen Bauplan haben und sich aus einer einzigen befruchteten Eizelle replizieren, das heißt Teilung für Teilung vermehren und trennen. „Im Laufe unseres Lebens können aufgrund von Fehlern in den zugrundeliegenden Prozessen oder durch die Einwirkung von Mutagenen in einigen Zellen Mutationen und andere genomische Veränderungen auftreten. Dadurch entsteht in unserem Körper ein sogenanntes Mosaik“, erklärt Dr. Anchel de Jaime-Soguero, Postdoktorand im Team von Prof. Dr. Sergio P. Acebrón am Centre for Organismal Studies der Universität Heidelberg. Dieser genomische Mosaizismus bezeichnet das Vorkommen von Zelllinien mit unterschiedlicher genetischer Information, was zu schwerwiegenden Störungen und Erkrankungen führen kann.
„In der Embryonalentwicklung gibt es bei der Erhaltung des Genoms zwei kritische Engpässe“, wie Dr. de Jaime-Soguero erläutert. In den frühen Embryonalstadien kommt es häufig zu größeren Veränderungen des Genoms, einschließlich des Verlusts oder Zugewinns ganzer Chromosomen, was die Hauptursache für Fehlgeburten ist. Auch im sich entwickelnden Gehirn kann die explosionsartige Bildung von Nervenzellen mit genomischen Veränderungen einhergehen; diese können neurologische Entwicklungsstörungen zur Folge haben. Welche biologischen Prozesse der zeitlichen und räumlichen Mosaikbildung zugrunde liegen, ist bislang weitgehend unbekannt.
Für ihre Untersuchungen nutzten die Wissenschaftler pluripotente Stammzellen, die sich in nahezu alle Zelltypen eines Organismus ausdifferenzieren können. Mithilfe von hochauflösenden bildgebenden Verfahren analysierten sie Zehntausende von Zellteilungsvorgängen. Das Team um Prof. Acebrón konnte dabei nachweisen, dass die molekularen Signale, die zur Entwicklung von Embryonen beitragen und vor Fehlern im Genom der Stammzellen schützen, auch die Mosaikbildung auslösen können. Ob diese verschiedenen Entwicklungssignale – dazu gehören insbesondere WNT, BMP und FGF – die eine oder die andere Funktion übernehmen, hängt nach Angaben der Wissenschaftler davon ab, wo sie während der frühen Entwicklungsstadien im Embryo aktiv sind.
Darüber hinaus stellten die Forscherinnen und Forscher fest, dass der zugrundeliegende Regulierungsmechanismus in ähnlicher Weise auch wie ein Brems- oder Gaspedal für die Replikationsdynamik der DNA fungiert. Über die Pluripotenz hinaus sind die meisten embryonalen Zelltypen dafür „unempfindlich“ – mit Ausnahme von neuralen Stammzellen, die bei der Erzeugung von Nervenzellen zum Einsatz kommen. Bei den Untersuchungen mit neuralen Stammzellen von Menschen und Mäusen stellten die Wissenschaftler fest, dass dasselbe Signal, das die Bildung von Nervenzellen auslöst, auch für die hohe Anzahl an Chromosomen-Trennungsfehlern verantwortlich ist. „Wir glauben, dass dieser biologische Mechanismus ein entscheidendes Puzzlestück für das Verständnis der Mosaikbildung in den frühen Entwicklungsstadien von Embryonen liefert“, so Prof. Acebrón.
Die Forschungsarbeiten waren in den Sonderforschungsbereich 1324 „Mechanismen und Funktionen des Wnt-Signalwegs“ der Universität Heidelberg eingebunden. An den Arbeiten beteiligt waren zudem Wissenschaftler der Universität Göttingen, des European Molecular Biology Laboratory und des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg, ebenso auch Forscherinnen und Forscher aus Großbritannien, den Niederlanden und Schweden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Alexander von Humboldt-Stiftung, die Studienstiftung des deutschen Volkes, die Chica und Heinz Schaller Stiftung sowie UK Research and Innovation haben die Forschungsarbeiten gefördert. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ erschienen.