„Für Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs, die über Monate an massiven Tumorschmerzen leiden, wäre Schmerzminderung das Größte - noch mehr als längeres Überleben“, berichtet Michael Hirth, der am Universitätsklinikum Mannheim die Arbeitsgruppe Pankreasforschung leitet. Über drei Viertel der Patienten entwickle Tumorschmerzen, wiederum die Hälfte davon so massiv, dass die gängigen Schmerztherapien nicht ausreichen würden, so der Assistenzarzt.
Für die Schmerzen bei Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs werden hauptsächlich sensibilisierte oder geschädigte Nerven verantwortlich gemacht. Bisher hatten Forscher vor allem Botenstoffe im Visier, die von den Krebszellen ausgeschüttet werden. „Man dachte, die Tumorbotenstoffe machen Nerven empfindlicher, sodass Reize, die normalerweise keine Schmerzen auslösen würden, von Krebskranken als schmerzhaft empfunden werden“, erzählt Hirth. Auch er hat vor neun Jahren in seiner Doktorarbeit gezeigt, dass ein bestimmter Botenstoff, der unter anderem von Tumorzellen freigesetzt wird, Nervenzellen sensibilisieren kann.
Das erklärt aber noch nicht, warum sich Krebszellen des Pankreas von Nervenzellen scheinbar magisch angezogen fühlen und bevorzugt in deren Nähe zu finden sind. Wie der Mannheimer Forscher zusammen mit Wissenschaftlern um die renommierte Schmerzforscherin Prof. Dr. Rohini Kuner von der Universität Heidelberg herausfand, schütten Nervenzellen selbst Lockstoffe aus.1 „Vermutlich brauchen Nervenzellen diese Botenstoffe zur Selbststimulation, um zu überleben“, sagt Hirth.
Vor allem die Chemokine CXCL10 und CCL21 lockten fatalerweise aber auch Pankreaskarzinomzellen an, die die passenden Oberflächenrezeptoren hochreguliert hatten. Und sobald die Wissenschaftler in Mäusen, die an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt waren, einen der beiden Botenstoffe oder deren Rezeptoren blockierten, hatten die Tiere deutlich weniger Schmerzen. Dazu passte, dass die Forscher in Biopsien von Patienten vermehrt diese beiden Rezeptoren auf Pankreaskarzinomzellen fanden. „Patienten mit hoher Rezeptordichte auf den Tumorzellen hatten auch besonders häufig Tumorschmerzen“, berichtet Hirth.
Preiswürdige Forschung
Für seine Forschungsarbeit wurde der Mediziner im Oktober 2020 mit dem 1. Preis der Deutschen Schmerzgesellschaft in der Kategorie „Grundlagenforschung“ geehrt. Hirth möchte die Erkenntnisse künftig nutzen, um Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs zu identifizieren, deren Tumore übermäßig viele dieser beiden Rezeptoren aufweisen. Sie könnten von einer frühzeitigen Schmerztherapie besonders profitieren.
„Langfristig wäre die Idee, diese Patienten mit Chemokin-blockierenden Substanzen zu therapieren, aber das ist noch Zukunftsmusik“, sagt Hirth. Das Problem: Chemokine locken normalerweise auch Immunzellen an, was im Kampf gegen Krebszellen eigentlich erwünscht ist. „Zunächst muss in präklinischen Studien untersucht werden, welche Chemokine wir hemmen können, ohne die Immunantwort zu unterbinden“, sagt Hirth.
Die Kommunikation zwischen Pankreaskarzinomzellen und Nervenzellen sei sehr komplex, und vermutlich sind noch weitere Nervenbotenstoffe daran beteiligt, die noch untersucht werden müssen. „Wir gehen auch davon aus, dass die Tumorzellen Mediatoren freisetzen, die diese Überproduktion von Botenstoffen in den Nervenzellen auslösen“, merkt Hirth an. Für den Tumor hat das Heranpirschen an Nervenfasern gleich mehrere Vorteile: „Das neuronale Kompartiment ist sehr nährstoffreich, vor dem Immunsystem recht gut geschützt, und entlang der Nerven können die Tumorzellen sehr gut metastasieren“, erklärt Hirth.
Eine der schmerzvollsten Tumorarten
Diese Affinität der Tumorzellen für Nerven ist wohl mit ein Grund, warum Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs verglichen mit anderen Krebsformen anfälliger für Tumorschmerzen sind. Hinzu kommt, dass die Bauchspeicheldrüse relativ nahe an verarbeitenden Nervenansammlungen entlang des Rückenmarks liegt, über die die Schmerzreize an das Gehirn weitergeleitet werden.
Dauern die Schmerzen bei Patienten mit einem Pankreaskarzinom oder einer chronisch entzündeten Bauchspeicheldrüse über Jahre an, besteht die Gefahr, dass die Patienten ein Schmerzgedächtnis entwickeln. „Dabei ist das Hauptgeschehen nicht mehr die Aktivierung von Schmerzrezeptoren in der Bauchspeicheldrüse, sondern eine Sensibilisierung im Gehirn“, sagt Hirth.
Aktuell entwickelt Hirths Arbeitsgruppe einen Hypersensibilisierungs-Test, um Patienten zu identifizieren, die bereits ein Schmerzgedächtnis entwickelt haben. Dabei detektieren die Forscher die Schwelle, ab der die Patienten Reize wie Hitze oder Kälte an verschiedenen Körperstellen als schmerzhaft empfinden. „Unsere Hypothese ist, dass die Patienten, die noch kein Schmerzgedächtnis haben, eine andere Schmerztherapie benötigen als beim Vorliegen eines Schmerzgedächtnisses“, sagt Hirth, der seit einer Vorlesung im Medizinstudium vom Thema Schmerz fasziniert ist. In Zukunft könnten dank personalisierter Schmerztherapien zumindest die tumorbedingten Schmerzen für Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs erträglicher werden, auch wenn die Prognose nach wie vor sehr schlecht ist.