Experteninterview
Wie kommen neue Wirkstoffe aus der universitären Forschung zu Patientinnen und Patienten?
Nach wie vor ist der Zugang zu Kapital eine der größten Herausforderungen im Life Sciences-Bereich. Das Baden-Württemberg Center for Academic Drug Discovery (BWCAD2) setzte in den letzten beiden Jahren ein in den USA seit langem erfolgreich praktiziertes Modell der Kooperation zwischen Arzneimittelforschung und Wirtschaft zur Entwicklung und Validierung therapeutischer Konzepte erfolgreich um. Dr. Barbara Jonischkeit von der BIOPRO sprach mit dem Initiator und führenden Kopf hinter dem Projekt BWCAD2, Prof. Dr. Stefan Laufer, Ordinarius für Pharmazeutische Chemie und Direktor am Pharmazeutischen Institut der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, darüber, wie diese Translation gelingen kann.
Sie entwickeln in Ihren Laboren an der Universität Tübingen Wirkstoffe für Arzneimittel. Und Sie kennen auch die andere Seite der Industrieforschung. Wie weit kann man mit universitären Mitteln kommen?
Mit universitären Mitteln kann man viel weiter kommen als man glaubt, wenn man ein paar Grundsätze kennt und beherrscht. Wichtig ist eine frühe Validierung seiner Forschungsergebnisse mit dem Ziel der Translation. Also mit dem Ziel, diese in die Umsetzung zu bringen. Die Universität macht sehr viel mehr möglich, als man gemeinhin glaubt.
Und das ist ein Ansatz gewesen, den wir mit TüCAD2, dem Tübinger Center for Academic Drug Discovery gegangen sind. TüCAD2 ist eine Plattform in der Exzellenzstrategie der Universität Tübingen und seit 2015 Mitglied in einem großen internationalen Verbund, dem in den USA gegründeten und weltweit aktiven Academic Drug Discovery Consortium (ad2c). Ziel dieses Konsortiums ist es, Kompetenzen zu bündeln, um im akademischen Umfeld Wirkstoffe zu entdecken, zu entwickeln und in die Translation an den Menschen zu bringen.
Validierung von Konzepten ist ja keine universitäre Kompetenz. Wie lösen Sie das?
Das kann man relativ leicht lösen, indem man eine sogenannte „kritische-Pfad-Analyse“ macht. Dahinter steckt das First-to-fail-Prinzip: Man macht die kritischen Schritte zuerst und nicht zuletzt. Das ist ein Dogmenbruch und widerspricht dem üblichen Vorgehen in der universitären Forschung. Da erzielt man Ergebnisse, die in der Regel publiziert und dann nicht mehr hinterfragt werden. Wenn man die Ergebnisse aber in die Translation bringen will, muss man sie so lange hinterfragen, bis man sie nicht mehr negieren kann.
Aber das in der Wirtschaft übliche First-to-Fail-Prinzip kann man in der universitären Forschung auch sehr gut umsetzen. Da die Validierung aber nicht publizierbar ist, ist das bislang nicht geübte akademische Praxis: Wenn ich ein interessantes Ergebnis habe, kann ich das in einem hochrangigen Journal wie Nature oder Cell publizieren. Wenn ich aber eine Validierungsstudie mache, nimmt das keines dieser Journals für eine Publikation an, da hier die sogenannte Neuigkeit fehlt. Gut bekannt an den Universitäten ist dagegen, dass man relativ schnell patentieren kann, bevor man publiziert. Und gerade die Validierungsstudie dient ja dazu, abzusichern, wie valide der Befund ist und damit eine Grundlage für die Patentierung. Voraussetzung für ein Patent sind Validierungsarbeiten aber nicht.
Nachdem Sie die Methode mit TüCAD2 erfolgreich adaptiert hatten, haben Sie sich entschieden, noch einen Schritt weiterzugehen und die nicht Tübingen-spezifischen Aspekte als BWCAD2 ins Leben gerufen. Wie ist Ihr Fazit nach zwei Jahren?
Die TüCAD2-Plattform hat das Prinzip, dass wir mit pharmakologisch-chemischen Werkzeugen genetische Targets validieren. Das ist der Validierungsschritt, der sonst so akademisch nirgendwo durchgeführt wird und somit auf der Discovery-Seite das Alleinstellungsmerkmal des TüCAD2 ist. Weitere Aspekte des TüCAD2, z. B. die Ausgründungsaspekte, sind allerdings nicht Tübingen-spezifisch.
Die Idee war, diese im Rahmen von BWCAD2 allen Landesuniversitäten zugänglich zu machen. Die wichtigsten Bestandteile sind, Venture Capital Akquise und Ausgründungen voranzutreiben. Wir sind sehr dankbar, dass dies im Rahmen des Forums Gesundheitsstandort vom Wirtschaftsministerium gefördert wurde und die BIOPRO uns dabei von Anfang an in der Umsetzung elementar unterstützt hat.
Wer oder was hat Sie inspiriert, weiter zu denken und nicht den üblichen Weg des Technologietransfers der Hochschulen zu gehen?
Der Technologietransfer hilft uns beim Schützen unserer Erfindungen. Aber beim Zugänglichmachen von Finanzierungsquellen sind die Technologietransfere oft überfordert und haben dafür auch nicht die erforderlichen Strukturen. Mit Venture Capital kommt man erst in Berührung, wenn man selbst ausgegründet hat. Die negativen Erfahrungen, die ich bei meinen zwei Ausgründungen gemacht habe, wollte ich mit dem Projekt BWCAD2 anderen ersparen und die Erfahrungen breit zugänglich machen.
Hat es geholfen, dass Sie in der Industrie gearbeitet hatten, um einen anderen Blick als den universitären auf diese Themen zu bekommen?
Ich war zehn Jahre in der Industrie und am Ende in der Geschäftsleitung eines mittelständischen Pharmaunternehmens tätig. Hier habe ich den Validierungsgedanken und die Translation als oberstes Prinzip mitgenommen. In der Industrie wird alles zwei- bis dreimal validiert, bevor man weiteres Geld in die Entwicklung steckt. Für den Zugang zu Venture Capital hat mir die Industrieerfahrung weniger geholfen, sehr wohl aber das Managen einer europäischen Plattform mittelständiger Pharmaunternehmen, der damaligen Euro Alliance.
Wie ist Ihr Fazit nach zwei Jahren BWCAD2? Was sind die wichtigsten „Zutaten“, um ein Erfolgsrezept zu entwickeln?
BWCAD2 ist coronabedingt etwas holprig gestartet. Wichtig war uns das persönliche Coaching im Rahmen des Projektes, was durch Corona nicht möglich war. Daher mussten wir das Konzept für eine virtuelle Welt umbauen, was uns dank der Flexibilität des Wirtschaftsministeriums und der Unterstützung durch die BIOPRO auch gelungen ist.
An unserem ersten Pitch-Day hatten wir 16 Venture Capital Unternehmen dabei, die sich die acht Pitches angeschaut haben. Aus meiner Erfahrung ist das für Gründer eine sehr gute Starthilfe. Normalerweise muss man erstmal Klinken putzen gehen, um überhaupt erste Pitch-Termine zu bekommen, und das bei jedem VC einzeln. Bei BWCAD2 ist es uns gelungen, die VC zu den Gründungswilligen zu bringen, was es so zuvor im baden-württembergischen Umfeld kaum gab.
Wie geht es weiter?
In dem vom Wirtschaftsministerium im Rahmen des Forums Gesundheitsstandort geförderten Projektes stand die Durchführung von zwei Pitches im Fokus. Das haben wir trotz widrigster Umstände durch Corona erfolgreich umgesetzt. Es ist aber nicht erste Aufgabe von uns Akademikern, weiter in großem Umfang Pitch-Days zu veranstalten. Ziel war es ja zu zeigen, dass es möglich ist, akademische Wirkstoffentwicklungsprojekte in die Translation zu bringen und dafür ein Format zu schaffen. Ich bin BIOPRO daher dankbar, dass sie das Projekt unter ihrer Ägide und unserem Namen BWCAD2 weiterführen. Ich werde das Projekt nach meinen Möglichkeiten weiter begleiten, aber die Verantwortung geht jetzt in andere Hände über. Das ist im Sinne einer Verstetigung wichtig, damit Wissen nicht verloren geht.