Tübingen ist nach dem Standort Göttingen das zweite Universitätsklinikum in Deutschland, das seine Prozesse in der Pathologie vollständig umgestellt und den Weg einer Gewebeprobe vom Eingangslabor bis zum Befund vollständig digitalisiert hat. Dies ermöglicht auch den Einsatz moderner Künstlicher Intelligenz zur Unterstützung der Diagnosestellung.
Meilenstein für Krankenversorgung, Forschung und Lehre
„Die Umstellung vom Mikroskop auf dem Bildschirm bedeutet viel mehr als nur einen Wechsel des Arbeitsgeräts“, sagt Prof. Dr. Falko Fend von der Abteilung für Allgemeine und Molekulare Pathologie und Pathologische Anatomie am Universitätsklinikum. Der Ärztliche Direktor ergänzt: „Die Digitalisierung bahnt völlig neue Wege in der Diagnostik – für die Patientensicherheit ebenso wie für Lehre und Forschung“. Digitale Bilder ermöglichen durch Künstliche Intelligenz unterstützte Analysealgorithmen die präzisere Bestimmung von therapierelevanten Biomarkern. Sie können Informationen über die Biologie einer Erkrankung liefern, die durch konventionelle Mikroskopie nicht erfasst werden. Damit eröffnen sich auch neue Perspektiven für die Forschung, Einsatzmöglichkeiten in der Lehre und in der interdisziplinären Zusammenarbeit, beispielsweise durch die direkte Demonstration von Schnittbildern in Tumorkonferenzen.
Hinter den Kulissen
Über 60.000 Gewebeproben und rund eine halbe Million hochauflösende mikroskopische Schnittbilder aus allen operativen und nicht-operativen Disziplinen werden in den Tübinger Laboren jedes Jahr untersucht. Für viele Bereiche der Diagnostik und Behandlung sind die Untersuchung von Zell- und Gewebeveränderungen erkrankter Menschen unverzichtbar.
Die komplette Umstellung und der voll durchdachte Workflow machen es möglich, dass im Durchschnitt jede Woche 25.000 Schnitte abgerufen und analysiert werden. Der manuelle Arbeitsaufwand reduziert und die Fallüberprüfung beschleunigt sich. Nahezu 80 Nutzer können sich zeitgleich in dem System anmelden und bspw. auch aus dem Homeoffice die Schnitte begutachten.
Dabei befunden die 14 Fachärztinnen und Fachärzte in der Pathologie, fünf in der Neuropathologie und drei in der Dermatopathologie nicht nur Schnitte von Patientinnen und Patienten des Uniklinikums. Die Krankenhäuser Freudenstadt, Albstadt und Balingen sind gute Beispiele für große externe Einsender. Außerdem ist Tübingen Referenzzentrum für Hämatopathologie sowie ein überregionales Zentrum für Kardiopathologie und erhält Einsendungen aus ganz Deutschland und dem Ausland.
Finanzierung und Ausblick
Finanziert wurde die „Digitale Pathologie“ mit Geldern aus dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG). Ein Großteil des über drei Millionen Euro schweren Projektes wurde auf Basis finanzieller Mittel der Europäischen Union (NextGenerationEU), des Bundesamts für Soziale Sicherung und des Landes Baden-Württemberg umgesetzt.
Anfang 2027 wird das Institut für Pathologie und Neuropathologie gemeinsam mit dem Institut für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik einen Neubau auf dem Schnarrenberg beziehen. Mit der Digitalisierung ist bereits vor Bezug des neuen Institutsgebäudes ein Markstein gesetzt.
Klinische Anwendungen und Auswirkungen
Der erste Schritt ist das Scannen der Objektträger. Dieser Prozess läuft vollautomatisch und die Proben können mit einem hohen Durchsatz digitalisiert werden. Die klinisch validierten Philips Scanner erzeugen hochauflösende Bilder. „Die sind die Voraussetzung für eine digitale Pathologie und machen den Einsatz von Algorithmen in der Bildanalyse möglich“, stellt Dr. Christian Tank, verantwortlich für die Digitale Pathologie bei Philips in DACH, heraus.
„Durch den Einsatz innovativer Technologien werden Diagnosen schneller, präziser und effizienter erstellt“, erklärt Sebastian Janik, Verkaufsleiter Deutschland von aetherAI. Das Unternehmen aus Taiwan zeichnet mit seinem Produkt aetherSlide IMS für die Integration von Künstlicher Intelligenz in das Image-Management-System. Automatisch werden die Objektträgerbilder aus den Philips Scannern importiert und verwaltet, sodass die Pathologinnen und Pathologen die Bilder direkt betrachten und analysieren können. KI-gestützte Tools, die anhand klinischer Daten des Uniklinikums validiert wurden, unterstützen insbesondere bei Brustkrebs und bei der Identifikation von Lymphknotenmetastasen bei Magenkrebs. Zusätzlich verbessert eine KI-gestützte Tumorsegmentierung die IHC-Analyse, indem sie mit hoher Genauigkeit zwischen Tumor- und Nicht-Tumorregionen unterscheidet. Diese Innovation unterstützt nicht nur die Brustkrebsforschung, sondern optimiert auch die klinische Entscheidungsfindung.
Die sichere Patientenzuordnung wird mit der Anbindung des NEXUS / PATHOLOGIE Laborinformationssystems und der damit einhergehenden Synchronisierung der Metadaten mit den digitalisierten Objektträgerbildern gesichert. Arnd Liman, Geschäftsführer der NEXUS / DIGITAL PATHOLOGY GmbH ergänzt: „Unser innovatives Pathologie-Informationssystem steuert und überwacht über Arbeitslisten zentral die Prozesse. Zusätzlich werden alle beteiligten Systeme und Geräte im Institut darüber vernetzt und über eine einheitliche Benutzeroberfläche bedient.“